erhält den Reinhard-Mohn-Preis - (Termin: 11. Juni)
Gütersloh, Berlin (epd)Sie hatte in den Medien schnell ihren inoffiziellen Namen weg: die Süssmuth-Kommission. Das ist ein untrüglicher Hinweis darauf, wer dem 21-köpfigen Beraterkreis sein Gesicht verlieh und dessen Ergebnisse gegen Anfeinder jeglicher Couleur verteidigte: Rita Süssmuth (CDU), ehemalige Professorin, Ex-Ministerin und einstige langjährige Bundestagspräsidentin. Am kommenden Donnerstag erhält die 78-Jährige den mit 200.000 Euro dotierten Reinhard-Mohn-Preis der Bertelsmann Stiftung: Späte Anerkennung einer Visionärin, die ihrer Partei oft weit voraus war.
Rita Süssmuth war zehn Jahre lang Präsidentin des Bundestages. Und doch bringt sie die Öffentlichkeit die Frau mit dem dunklen Kurzhaarschopf und den modernen Brillen noch meist mit einem anderen Amt in Verbindung: dem Vorsitz der heftig umstrittenen Zuwanderungskommission.
Entsetzen in der Union
Schon deren Einsetzung durch Innenminister Otto Schily (SPD) sorgte für mächtig Unruhe im politischen Berlin. Die Besetzung des Chefpostens mit Süssmuth geriet vollends zum Paukenschlag: Dass die gebürtige Wuppertalerin den Job übernahm, sorgte für blankes Entsetzen in der Union. Die CDU/CSU lehnte die Mitarbeit in der Kommission strikt ab - was viele Kompromisse beim späteren rot-grünen Zuwanderungsgesetz erzwang.
Die Kommission setzte sich unter anderem aus Vertretern von Hochschulen, Gewerkschaften, Kirchen und Unternehmerverbänden zusammen. Ihren Bericht legte sie im Juli 2001 vor. Kernaussage: Deutschland braucht schon aus arbeitsmarktpolitischen Gründen vor allem hoch qualifizierte Zuwanderer. Die Experten warben unter anderem für ein Punktesystem, über das Bewerber nach verschiedenen Kriterien wie etwa Alter, Sprachkenntnisse und Ausbildung ausgewählt werden sollten - zunächst 50.000 Personen jährlich. Zudem plädierte die Kommission für bessere Integrationshilfen, die etwa als Sprach- und Orientierungskurse angeboten werden sollten.
Für die Union genügte der Bericht "bei weitem nicht" den Erfordernissen einer Gesamtkonzeption. Es handele sich nicht um ein Zuwanderungsbegrenzungs-, sondern um ein Zuwanderungserweiterungskonzept, erklärten die Unionspolitiker - und lehnten die Pläne rundweg ab.
"Ätzend konsequent"
Über Kreuz mit ihrer Partei, der sie seit 1981 angehörte, lag Süssmuth in schöner Regelmäßigkeit. Was auch ihrem Habitus als fortschrittlich denkende Sozialpolitikerin entsprang, der in der katholischen Soziallehre wurzelte: "Auch eine rein pragmatische Politik braucht eine Grundlage, auch sie muss wissen, wohin sie will, was ihr Ideal, was ihre Vision ist." Die Quereinsteigerin in die hohe Politik erzielte hohe Popularitätswerte. Aus Meinungsumfragen ging sie zeitweise gar als beliebteste Politikerin des Landes hervor: "Lovely Rita" nannten sie die Medien.
Zum offenen Bruch mit Teilen der Union kam es, als sie im Frühjahr 1988 massive Kritik am Unions-Entwurf des Beratungsgesetzes zum Abtreibungsparagrafen 218 im Strafgesetzbuch übte. Auch später als Parlamentspräsidentin hielt Süssmuth mit ihrer Meinung selten hinter dem Berg und äußerte sich etwa zu frauenpolitischen Fragen. "Der Bundestagspräsident muss kein Neutrum sein", sagte sie selbstbewusst der "Süddeutschen Zeitung". Süssmuth führte das Amt bisweilen "ätzend konsequent", wie der verstorbene SPD-Politiker Peter Glotz einmal anerkennend sagte.
"Perspektive auf Einwanderung verändert"
Dass sie beim Streitthema Zuwanderung wider den Stachel löckte, hat sich aus ihrer Sicht gelohnt. Nach anfänglicher "Ablehnung und vielen Widerwärtigkeiten" habe ein Umdenken eingesetzt, auch weil der sich abzeichnende Fachkräftebedarf dazu führte, dass sich "der Fokus der öffentlichen Debatte von den Schwächen der Migranten zu ihren Potenzialen verlagert hat", sagte Süssmuth rückblickend in einem Interview: "Das Wort von der Willkommenskultur hat Einzug gehalten. Aber es stimmt schon: Das hat schon sehr, sehr lange gedauert."
"Rita Süssmuth hat mit ihrer politischen Arbeit die Perspektive der Deutschen auf Einwanderung verändert", sagte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied Bertelsmann Stiftung, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die aktuelle Debatte um ein neues Einwanderungsgesetz greife Ideen auf, für die die Zeit damals noch nicht reif war. Süssmuth sei "eine engagierte Kämpferin für die Chancen von benachteiligten Menschen - und hat mit ihrem Lebenswerk viel dazu beigetragen, dass sich langsam aber sicher eine Willkommenskultur in Deutschland etabliert."