«Ein mannhafter Kämpfer für Recht und Freiheit»
Vor 125 Jahren
wurde Wilhelm Leuschner geboren - (Termin: 15. Juni)

Frankfurt a.M. (epd)Seine Drähte reichen von der oppositionellen Arbeiterschaft bis hinein in bürgerliche und militärische Zirkel: Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner (1890-1944) organisiert übergreifenden Widerstand gegen die NS-Machthaber. Verstrickt in das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944, wird der Visionär am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee ermordet. An seinen Sohn Wilhelm schreibt er im Abschiedsbrief: "Leb wohl. Haltet zusammen. Baut alles wieder auf."

"Widerstand aus dem Volk"

Der Gewerkschafter mit der hohen Stirn und dem markanten Schnäuzer gilt vielen als führender Kopf des zivilen Widerstandes gegen Hitler. Nach Ansicht einiger Historiker spielte sein breites zivilgesellschaftliches Netzwerk eine tragende Rolle bei den Plänen für den Umsturz, der dem Attentat der Militärs vom 20. Juli folgen sollte. Denn ein politischer und moralischer Neubeginn war das Ziel, getragen von einer Regierung aus unbelasteten Zivilisten, darunter auch Leuschner als Vizekanzler.

Wolfgang Hasibether, Vorstand der Wilhelm-Leuschner-Stiftung in Bayreuth, urteilt: "Er machte aus ihrem 'Widerstand ohne Volk' den 'Widerstand aus dem Volk'". Heute ist die höchste Auszeichnung des Landes Hessen nach ihm benannt, die Wilhelm-Leuschner-Medaille.

Vor 125 Jahren, am 15. Juni 1890, kommt Leuschner in Bayreuth zur Welt. Er lernt Mandoline zu spielen, schließt sich Arbeitersängern an. Ab 1908 arbeitet der Holzbildhauer in Darmstadt. 1913 tritt Leuschner der SPD bei, wird Stadtverordneter, später Landtagsabgeordneter und ist bis 1928 Vizepräsident des Parlaments. Als Innenminister des damaligen "Volksstaats Hessen" führt der Verfassungspatriot und Verfechter einer sozialen Republik einen nimmermüden Kampf gegen die NSDAP, aber auch gegen die KPD.

Reichsweites Netz von NS-Gegnern

Verhasster Feind der Nationalsozialisten wird er im November 1931: Er veröffentlicht die Pläne des NS-Landtagsabgeordneten Werner Best für eine gewaltsame Übernahme der Macht durch die NSDAP ("Boxheimer Dokumente"). Ihm ist zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass der Aufstieg der Braunen nicht mehr aufzuhalten ist. In sein Tagebuch notiert er im Februar 1933: "Eine harte Woche. (Die) Scheißkerle entpuppen sich."

Leuschner, mittlerweile im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds, zieht um nach Berlin. Im Juni 1933 verschleppt die Gestapo ihn. Erst ein Jahr später wird er aus dem KZ Lichtenburg bei Torgau entlassen.

Doch Leuschners Widerstandsgeist ist durch die Haft noch gewachsen. Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn gründet er eine Scheinfirma: Die "Leuba" stellt im Hof des Hauses Eisenbahnstraße 5 in Kreuzberg Armaturen und Bierzapfhähne her. Leuschner beschäftigt dort bedrängte Parteifreunde wie Hermann Maaß, Ernst Schneppenhorst und Friedrich Ebert jun.. Das Unternehmen ist ab 1936 erfolgreicher Deckmantel für ein reichsweites Netz von NS-Gegnern, die Widerstandszellen bilden und nach Hitlers Sturz die neue Ordnung gestalten wollen.

Breite Front zum Sturz Hitlers

Die Tarnung ist zunächst perfekt: Seine Reisen als Geschäftsführer unterliegen kaum einer Kontrolle durch die Nationalsozialisten - auch, weil die Firma dank einiger Patente zur Metallverarbeitung als kriegswichtig eingestuft worden war.

"Leuschner stellt alle ideologischen Vorbehalte zurück und versucht zum Sturz Hitlers eine breite Front bis zu Widerstandskreisen im NS-Regierungsapparat aufzubauen", schreibt Hasibether. Er knüpft Kontakte zum Sozialdemokraten Julius Leber sowie zum christlichen Gewerkschafter Jakob Kaiser. Auch den Christen Dietrich Bonhoeffer trifft er. Über Carl Goerdeler, den einstigen Leipziger Oberbürgermeister, kommt es zu Gesprächen mit Mitgliedern des Kreisauer Kreises und den Attentätern des 20. Juli um Oberst Graf von Stauffenberg. Verbindendes Ziel aller Widerständler: Die Freiheit des Einzelnen und die Herrschaft des Rechts in der zukünftigen Gesellschaft.

In eigenen Konzepten zur Nachkriegsordnung befasst sich Leuschner etwa mit Fragen der zentralen Wirtschaftslenkung, dem "Recht auf Arbeit" und der 40-Stunden-Woche. Einige seiner Notizen auf kleinen Zetteln aus den Jahren 1942 und 1943 sind erhalten geblieben und werden im Darmstädter Landesarchiv verwahrt. "Er fordert die Mitbestimmung der Arbeiterschaft auf allen Gebieten des sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Die von ihm konzipierte Einheitsgewerkschaft soll diese verwirklichen", erläutert Hasibether.

Nachbarin verrät Leuschner

Geplant ist, dass Leuschner nach dem Attentat am 20. Juli 1944 mit einer Rede im Rundfunk den Umsturz bekanntmachen und zur Unterstützung aufrufen soll. Er weiß schon am Abend, dass der Putsch gescheitert ist und versteckt sich in Berlin. Doch Salomea Maag, eine Nachbarin, verrät ihn an die Gestapo. Am 16. August 1944 wird er verhaftet. Auch unter Folter verrät er seine Mitwisser nicht. In einem Schauprozess verurteilt ihn der Volksgerichtshof am 8. September 1944 zum Tode.

Gustav Dahrendorff, ehemaliger SPD-Reichtagsabgeordneter und Mithäftling, überliefert Leuschners Vermächtnis: "Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit", soll er am Abend vor seiner Hinrichtung gesagt haben. Ein anderer Mitgefangener, Andreas Hermes, späteres Mitglied der Berliner CDU, würdigte ihn so: "Er verband mit der Festigkeit seines Willens ein großes menschliches Verständnis für die Auffassung anderer. (...) Er war im besten Sinne mannhafter und leidenschaftlicher Kämpfer für Recht und Freiheit in unserem Volke."

"Leider ist das Wirken von Wilhelm Leuschner relativ unbekannt", beklagt der Wiesbadener Historiker Axel Ulrich. Die zivile Opposition rund um das Attentat der Militärs vom 20. Juli stehe noch immer meist im Hintergrund. Dabei sei Leuschner einer der "tapfersten Männer im Widerstand gegen die Nazis" gewesen.