Karlsruhe (epd)Die Ausspähung und Überwachung durch Geheimdienste greift nach Ansicht von Bürgerrechtlern immer hemmungsloser in die Grundrechte der deutschen Staatsbürger ein. In Fragen der Menschenwürde und der informationellen Selbstbestimmung habe sich auch knapp zwei Jahre nach Beginn der Veröffentlichungen durch den US-Whistleblower Edward Snowden politisch nichts getan, sagte die Datenschutz-Expertin Constanze Kurz am Freitag in Karlsruhe. Dort wurde der Grundrechte-Report 2015 vorgestellt, der als alternativer Verfassungsschutzbericht gilt.
Kritik an Geheimdiensten
"Nachrichtendienste müssen überhaupt nicht fürchten, kontrolliert zu werden", sagte die Informatikerin Kurz. Der "geheimdienstliche Komplex unterminiert weiterhin das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bis zur Unkenntlichkeit, nur jetzt mit unserem Wissen", kritisierte Kurz, die auch Sprecherin des Chaos Computer Clubs ist. "Es steht leider zu erwarten, dass wir auch 2015 noch tiefer in die Abgründe der Überwachung blicken müssen", monierte die Datenschutzexpertin.
Kurz verwies auf einen Beitrag des Autoren Thilo Weichert, Jurist und Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein. Weichert sieht die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nur als vorläufig beendet. Der EuGH hatte im April 2014 entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie gegen europäische Grundrechte verstößt. In seinem Report-Beitrag kritisiert Weichert nun, dass es inzwischen einen Referentenentwurf der Bundesregierung gebe, mit dem die Maßnahme im Wege eines nationalen Alleingangs wieder eingeführt werden solle.
Gefahrenzonen als Eingriff auf Grundrechte
"Der Grundrechte-Report zeigt, dass die Gefährdung der Verfassung vom Staat ausgeht", sagte Martin Heiming vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Als Beispiele dafür nannte er zusammen mit dem Rechtsanwalt Till Müller-Heidelberg den jahrelangen Einsatz einer verdeckten Ermittlerin im linksautonomen Hamburger Kulturzentrum Rote Flora sowie die Gefahrenzonen, die die Stadt Hamburg im Januar 2014 eingerichtet hatte.
Die Einrichtung von Gefahrenzonen durch die Hamburger Polizei wurde damit begründet, dass es in den Wochen zuvor Angriffe gegen Polizeibeamte sowie gegen Einrichtungen der Polizei gegeben habe. Erst kürzlich habe das dortige Oberverwaltungsgericht diese Gefahrenzonen für verfassungswidrig erklärt, sagte Müller-Heidelberg. Bei dem verdeckten Einsatz einer Beamtin bei der Roten Flora hingegen seien personenbezogene Daten weitergegeben worden. Das sei strafrechtlich relevant gewesen, betonte Andreas Blechschmidt, Mitglied einer Recherchegruppe in dem Kulturzentrum.
Breites Bündis
Der Grundrechte-Report erscheint seit 1997. Er zieht eine kritische Bilanz zum Umgang mit den Bürger- und Menschenrechten in Deutschland. Der Report wird herausgegeben von der Humanistischen Union, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen, der Internationalen Liga für Menschenrechte und der Neuen Richtervereinigung.