Opposition im Würgegriff
Äthiopiens Regierungspartei sichert sich die Wiederwahl mit autoritären Mitteln

Genf, Addis Abeba (epd)Als vor fünf Jahren die Auszählung der Stimmen beendet war, konnte Äthiopiens Regierungspartei einen unglaublichen Erfolg feiern: 99,6 Prozent der Wählerschaft hatten dem offiziellen Ergebnis zufolge für die seit 1991 regierende Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF) gestimmt. Nur zwei Oppositionelle zogen ins Parlament mit seinen 547 Sitzen ein. Girma Seifu, einer von ihnen, rechnet nicht damit, dass die Wahlen an diesem Sonntag Veränderungen bringen. Denn das autoritäre Regime verteidigt seine Pfründe.

Premier Hailemariam Desalegn gab sich versöhnlich

"Alles in allem hat Premier Hailemariam Desalegn nichts für die Demokratisierung getan", erklärt Seifu. "Damit hat er unsere Erwartungen enttäuscht." Dabei hatte der Oppositionspolitiker anfangs große Hoffnungen in Desalegn gesetzt, wie er kürzlich dem US-Sender "Voice of America" sagte. Vizepremier Desalegn wurde 2012 überraschend Regierungschef, nachdem sein Chef Meles Zenawi nach siebzehn Jahren im Amt gestorben war. "Er gehörte nicht zu den revolutionären Kämpfern, die 1991 das Mengistu-Regime besiegt haben - er war damals Beamter, und deshalb hegte er keine Rachegelüste, gab sich versöhnlich."

Doch nach Zenawis Tod, so sagen selbst Parteifreunde, profilierte Desalegn sich kaum, gab sich eher als Nachlassverwalter seines Vorgängers. Das Profil könnte sich nun zwar schärfen, glaubt etwa der Politologe Hallelujah Lulie vom Institut für Sicherheitsstudien: "Desalegns Kompetenz und seine Verdienste können wir erst beurteilen, wenn er seine erste eigene Regierung gebildet haben wird", erklärt er. "Aber seine erste Priorität steht fest: Kontinuität."

Äthiopiens Wirtschaft wächst

Äthiopien boomt. In der Hauptstadt Addis Abeba wird ein Hochhaus nach dem anderen nach oben gezogen, die Wirtschaft wächst jährlich um zehn Prozent. In diesen Tagen wird die erste Straßenbahnlinie eingeweiht. Stromausfälle und die Versorgung mit Trinkwasser vor allem auf dem Land sind zwar ein großes Problem. Knapp ein Drittel der 96 Millionen Äthiopier lebt immer noch unterhalb der Armutsgrenze. Doch das Ziel steht: Bis 2030 will Äthiopien zum Schwellenland aufsteigen.

Beobachter wie Lulie glauben, dass Desalegn dafür nach seiner Wahl die staatlich gegängelte Wirtschaft liberalisieren und Bürokratie abbauen wird. Dass er Menschen- und Bürgerrechte stärkt, glaubt dagegen niemand.

Widerstand wird unterbunden

Pressefreiheit gibt es nicht in Äthiopien. Und ein restriktives Anti-Terror-Gesetz lässt dem Staat nahezu freie Hand. Zivilgesellschaftliche Gruppen liegen am Boden, nachdem finanzielle Unterstützung aus dem Ausland praktisch untersagt wurde. Und wo es dennoch zarten Widerstand gibt, wird er schnell gestoppt.

Girma Seifus "Einheitspartei für Demokratie und Gerechtigkeit" etwa musste ihren Namen aufgeben und darf am Sonntag nicht mehr antreten - aus rein technischen Gründen, wie die Wahlkommission versichert. In Wahlkreisen, in denen es mehr als die zugelassenen zwölf Kandidaten gab, wurde ausgelost, wer aufgeben muss. Die Nieten gingen an aussichtsreiche Oppositionskandidaten.

Am Machterhalt der EPRDF trägt allerdings auch die Opposition eine Mitschuld. Sie hat es wieder nicht geschafft, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Und so steht längst vor Sonntag fest, dass der alte Premier auch der neue sein wird.

Ausgang offen

Spannend wird es erst danach. Denn Desalegn steht einer alternden Führungsriege vor allem aus der Region Tigray gegenüber, die die Herrschaft über Äthiopien als Belohnung für ihren Sieg gegen den stalinistischen Mengistu-Staat 1991 sieht. Schon Meles Zenawi, selbst Revolutionsführer, forderte die Erneuerung der Partei. Um Vorrechte zu brechen, machte er Desalegn zum Kronprinzen. Dieser ist Vertreter einer Minderheit im Vielvölkerstaat Äthiopien und bekennender Protestant in einem Land, in dem die orthodoxe Kirche maßgeblichen Einfluss hat.

Der Ausgang des Machtkampfes ist offen. Angeblich stellen alte Kader im Nachbarland Eritrea eine eigene Miliz von mehreren Tausend Mann zusammen, um ihre Ansprüche zur Not gewaltsam zu verteidigen.