Berlin (epd)Nach Ansicht des Internetaktivisten Frank Rieger gefährdet die Digitalisierung des Gesundheitswesens zunehmend das Recht auf Selbstbestimmung. "Wir brauchen härtere Diskussionen und striktere Regeln, welche Daten in private Hände gelangen dürfen", sagte der Sprecher des Chaos Computer Clubs dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates am Donnerstag in Berlin. Die Tagung stand unter dem Motto "Die Vermessung des Menschen - Big Data und Gesundheit".
Recht auf Nichtwissen?
Als Beispiel führte der Internetaktivist ein Projekt in Island an. Dort debattierten Wissenschaftler derzeit darüber, ob Menschen über ihre Krankheitsveranlagungen zwangsinformiert werden sollen, sagte Rieger. 100.000 der knapp 330.000 Isländer hätten ihre Gene sequenzieren lassen. Durch die DNA-Analyse hätten Veranlagungen zu verschiedensten Erkrankungen in den Familien erkannt werden können.
"Das ist ein Datenberg, der fast alle Isländer betrifft", sagte Rieger. Dementsprechend sei eine Debatte entbrannt, wie mit diesem Wissen umgegangen werden und ob betroffene Angehörige über eine Krankheitsveranlagung informiert werden sollten, obwohl sie selbst keiner Gensequenzierung zugestimmt hätten. "Selbstbestimmung ist immer auch das Recht auf Nichtwissen, gerade im Gesundheitssektor."
Leben nach "Gesundheitsdogmen"
Die zunehmende Digitalisierung von Gesundheitsdaten berge zudem die Gefahr eines Optimierungszwangs. Versicherungen in den USA böten bereits Vergünstigungen an, wenn Kunden ihre Fitnesswerte von elektronischen Geräten aufzeichnen ließen. Der Schritt von solchen freiwilligen Angeboten hin zum gesellschaftlichen Zwang, nach "Gesundheitsdogmen" zu leben, sei nicht groß. "Solche Optimierungsziele greifen zu sehr in den Bereich des Einzelnen ein und müssen stärker hinterfragt werden", betonte Rieger. Bei vielen Anbietern von Gesundheits-Apps sei zudem nicht klar, was auf lange Sicht mit den persönlichen Daten passiere. Für Versicherungen seien solche Gesundheitsinformationen von großem Wert.
Auch durch Diagnosesysteme werde das Gesundheitswesen weiter digitalisiert. Das könne von Vorteil sein, weil Computer neue Forschungsergebnisse schneller aufnehmen könnten als die Ärzte selbst. Die Technik dürfe allerdings nicht dazu führen, dass Fachpersonal schlechter ausgebildet werde und sich völlig auf den Computer verlasse. "Diese Systeme dürfen nicht als Ultima Ratio betrachtet werden", sagte Rieger.