Berlin (epd)Pflege-Experten haben im Streit um die Pflegenoten deren Abschaffung gefordert. Fast alle Sachverständigen stellten sich damit am Mittwoch in einer Anhörung des Bundestags auf die Seite des Patienten- und Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU). Laumann will die Pflegenoten Anfang 2016 abschaffen und bis Ende 2017 ein neues System entwickeln lassen.
"Strukturelle Mängel"
Er hat dafür den Rückhalt von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), nicht aber die Unterstützung des Koalitionspartners SPD. Die SPD will die Noten, die unter der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeführt worden waren, vorläufig beibehalten. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), bilanzierte, die Experten bestätigten die Haltung der Union und der Opposition. An die Adresse der SPD erklärte er, er setze weiter auf die Bereitschaft, eine pragmatische Lösung zu finden.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisierte in einem am Mittwoch veröffentlichten Papier über "Menschenrechte in der Pflege", trotz langjähriger Diskussionen sei zu wenig geschehen. Strukturelle Mängel gebe es insbesondere bei der Festlegung der Qualitätskriterien in der Pflege und bei wirksamen Qualitätskontrollen.
Der Gesundheitsausschuss des Bundestages befasste sich in der Anhörung mit einem Antrag der Grünen. Sie fordern darin ihrerseits, die Pflegenoten auszusetzen, um eine grundlegende Reform der Qualitätsprüfungen zu ermöglichen. In die Entscheidungen seien auch die Verbände pflegender Angehöriger und des Pflegepersonals einzubeziehen.
Keine Aussagekraft
Die Sachverständigen waren sich einig darüber, dass die Pflegenoten keine Aussagekraft besitzen. Trotz zahlreicher Defizite werden die Heime in Deutschland im Durchschnitt mit der Note 1,3 bewertet. Der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), Peter Pick, erklärte, das liege daran, dass zu viele Kriterien in die Gesamtnote eingehen, die nichts mit der Pflege zu tun haben. Demgegenüber verlangen die Grünen, weniger die Dokumentationen und stärker die Bewohner eines Heims und ihre Lebenssituation zu begutachten.
Pick forderte eine Konzentration auf bis zu zwölf Kernkriterien, um die Pflegequalität von Heimen und Pflegediensten vergleichen zu können. Voraussetzung sei aber eine "politische Entscheidung", sagte er angesichts des Streits in der Koalition.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht bei der Pflege älterer Menschen noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Auch pflegebedürftige Menschen seien "Rechtsträger" und hätten ein "Recht auf Gesundheit", sagte die Instituts-Mitarbeiterin und Expertin für soziale Grundrechte, Claudia Mahler, im Deutschlandradio Kultur. Dieses Recht sieht Mahler etwa durch Defizite bei der Behandlung von Druckgeschwüren und Schmerzen verletzt.
"Menschenrechte nicht gewahrt"
Als weitere Missstände in der Pflege nannte sie Gewalt und Misshandlungen, abgeschlossene Zimmer, die Fixierung von Pflegebedürftigen und den Einsatz von Windeln, weil der normale Toilettengang nicht in den Zeitplan passt. Das Institut stellte ein Papier mit Empfehlungen an die Bundesregierung vor, wie die Menschenrechte in der Pflege gewahrt werden können. Bereits 2006 hat es nach Angaben Mahlers eine Studie des Instituts mit ähnlichen Empfehlungen gegeben.
Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte Mahler, die strukturellen Mängel in der Pflege führten dazu, dass Menschenrechte nicht gewahrt werden. Die Pflegenoten in ihrer bisherigen Form machten keinen Sinn. Sie müssten sich vielmehr daran orientieren, was den Pflegebedürftigen zustehe und was sie wirklich brauchen, sagte Mahler.