Niki Stein hat den Roman adaptiert und daraus einen Fernsehfilm gemacht, dessen Aufnahmen bis auf wenige Ausnahmen vergleichsweise harmlos und oftmals dank einer freundlichen, hell-erdigen Farbgebung sogar regelrecht heimelig wirken; doch das Grauen lauert hinter den Bildern, was dem Krimi eine ganz spezielle Note gibt.
Grausamer Todesfall und furchtbares Geheimnis
Die Handlung beginnt mit einem grausamen Todesfall: Im Berliner Tierpark ist ein Mann das Opfer von Pekari-Schweinen geworden. Er ist allerdings keineswegs zufällig ins Gehege geraten. Als die junge Polizistin Sanela Beara (Alina Levshin) allzu neugierig herumschnüffelt, wird sie hinterrücks niedergeschlagen. Tierpflegerin Charlie (Anna Loos) gesteht beide Taten: sowohl den Angriff auf Sanela wie auch den Mord. Nun soll ein Psychiater (Benjamin Sadler) herausfinden, ob Charlie schuldfähig ist, aber ansonsten ist der Fall für den ermittelnden Kommissar Gehring (Jürgen Tarrach) erledigt. Bloß Sanela lässt nicht locker: Sie will wissen, warum die Tierpflegerin einen anscheinend unbescholtenen Zoobesucher derart grässlich ermordet hat. Die Spur führt in Charlies Heimatdorf, in dem auch das Opfer vor zwanzig Jahren gelebt hat. Die ehrgeizige Polizistin stößt auf ein furchtbares Geheimnis, aber bevor sie Gehring, der ihre Alleingänge gar nicht schätzt, informieren kann, gerät sie selbst in Lebensgefahr; das Dorf entpuppt sich als Schlund, der jeden verschlingt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Stein, der neben wichtigen zeitgeschichtlichen Filmen wie dem Scientology-Drama "Bis nichts mehr bleibt" oder seinem Rommel-Porträt auch großartige Krimis für den "Tatort" gedreht hat, weiß selbstredend ganz genau, wie man so eine Geschichte möglichst fesselnd inszenieren muss. Natürlich lebt "Das Dorf der Mörder" auch und vor allem von der Frage, was sich in Charlies Jugend zugetragen hat und warum innerhalb weniger Monate sämtliche männlichen Erwachsenen des Ortes auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen sind. Trotzdem entwickelt sich die Faszination des Films vor allem über die Figuren. Alina Levshin ist eine gute Besetzung für die Polizeiobermeisterin, die so gern Kommissarin werden möchte. Es passt ins Bild, dass ihre Uniformjacke eine Nummer zu groß wirkt, denn für den Fall gilt das gleiche. Die junge Frau zeichnet sich durch einen tiefen Sinn für Gerechtigkeit aus. Dass Sanela als Kind im jugoslawischen Bürgerkrieg ebenfalls Zeugin grausamer Ereignisse geworden ist, die sie buchstäblich für ihr Leben gezeichnet haben, lässt gut nachvollziehen, warum das Schicksal von Charlie sie besonders berührt. Aber auch die anderen Personen sind differenzierte Figuren. Jürgen Tarrach zum Beispiel hat als Kommissar, der zunächst nicht unbedingt sympathisch wirkt, eine Menge Spielmaterial. Gleiches gilt für Benjamin Sadler als Psychiater, der ebenfalls verstehen möchte, warum Charlie die Tat begangen hat, und enorm darunter leidet, als seine Leichtfertigkeit ihr die Möglichkeit zu einem Suizidversuch gibt. Dass er sich zudem in ihre jüngere Schwester (Anna Brüggemann) verliebt, macht die Sache für ihn nicht leichter.
Es versteht sich von selbst, dass herausragende Regisseure speziellen Wert auf eine sorgfältige Bildgestaltung legen. Der optischen Ebene kommt in diesem Fall eine besondere Bedeutung zu, weil sich das Grauen überwiegend im Kopf des Zuschauers abspielt. Stein hat mit Kameramann Arthur W. Ahrweiler bereits rund dreißig Filme gedreht, vermutlich verstehen sich die beiden längst, ohne überhaupt miteinander reden zu müssen. Davon profitiert "Das Dorf der Mörder" in jeder Einstellung, weil die handelnden Personen nicht mehr Worte machen müssen als nötig; und weil Ahrweilers Lichtsetzung für eine trügerische Harmlosigkeit sorgt.