Frankfurt a.M. (epd)Der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Navid Kermani, hat ein "humanes europäisches Flüchtlingsrecht" gefordert. Die sogenannte Dublin-Regelung, nach der Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, über das sie in die EU gekommen sind, sei "grandios gescheitert", sagte Kermani am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse. Damit Menschen überhaupt nach Deutschland gelangen könnten, zwinge sie dieses System in Schlauchboote und zur illegalen Einreise. Falls die europäischen Staaten nicht gemeinsam handelten, werde sich die Flüchtlingskrise "fürchterlich zuspitzen", warnte Kermani.
Der deutsch-iranische Schriftsteller, Essayist und Orientalist wird zum Abschluss der Buchmesse am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis geehrt, der mit 25.000 Euro dotiert ist. Die Laudatio hält der Berliner Literaturwissenschaftler Norbert Miller. Die Verleihung wird ab 11 Uhr live im ZDF übertragen.
Harsche Kritik an iranischen Verlage
Kermani lobte die Bundesregierung ausdrücklich für ihre humane Flüchtlingspolitik. Die unbürokratische Aufnahme Tausender Anfang September sei bemerkenswert gewesen, aber auch Folge eines gesellschaftlichen Wandels hin zu Toleranz und Weltoffenheit. "Ich hätte mir noch zu Beginn dieses Jahres nicht im Traum vorstellen können, dass sich dieses Land so gastfreundlich zeigt", sagte der 47-jährige Autor. Gerade die jüngere Generation bekenne sich mit großer Selbstverständlichkeit zur kulturellen und religiösen Vielfalt.
Gleichwohl zeige sich in Deutschland und Europa auch die Tendenz zur Abschottung und zur Re-Nationalisierung, gab Kermani zu bedenken. Er sei aber sicher, dass letztlich die Vielfalt und die Offenheit die Oberhand behielten. "Homogene Gesellschaften waren in der Kulturgeschichte eher die Ausnahme."
Der muslimische Schriftsteller, dessen Eltern 1959 aus dem Iran nach Deutschland kamen, übte harsche Kritik an der Haltung der iranischen staatlichen Verlage, die wegen der Teilnahme des von einer iranischen Todes-Fatwa belegten britisch-indischen Autors Salman Rushdie der Buchmesse fernblieben. "Ich bin darüber sehr zornig, zumal mit meiner Person in diesem Jahr zum ersten Mal ein Autor mit einem iranischen Pass den Friedenspreis erhält." Er freue sich allerdings über die Teilnahme einiger unabhängiger Verlage, die damit großen Mut bewiesen.
Menschliche Grenzerfahrungen im Fokus
Er habe die Friedenspreisnachricht während einer Urlaubsfahrt mit seiner Frau und seinen Kindern nach Frankreich erhalten und sie zunächst kaum glauben können, sagte Kermani weiter. Erst allmählich sei ihm die Tragweite bewusstgeworden. Mit dem Preis, seiner feierlichen Verleihung zum Abschluss der Buchmesse und den Übertragungen im Fernsehen sei er "seit Kindes Beinen aufgewachsen, seit Ernesto Cardenal".
Der in Siegen geborene und in Köln lebende Schriftsteller und Publizist Navid Kermani besitzt neben dem iranischen auch einen deutschen Pass. Er studierte Islamwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaft. In seinem Religionsverständnis folgt er seinem schiitischen Großvater. Seine literarische Arbeit kreist immer wieder um menschliche Grenzerfahrungen. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen auf dem Koran und der islamischen Mystik. Als Reporter berichtete er aus vielen Krisengebieten der Welt.
Viele Auszeichnungen bekommen
Zuletzt veröffentlichte Kermani unter anderem "Schöner neuer Orient. Berichte von Städten und Kriegen" (2003), "Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime" (2009), "Große Liebe" (2014) und "Zwischen Koran und Kafka. West-östliche Erkundigungen" (2014). Für sein aktuelles Buch "Ungläubiges Staunen" hat er sich intensiv mit der christlichen Bildwelt auseinandergesetzt. Er wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hessischen Kulturpreis (2009), der Buber-Rosenzweig-Medaille und dem Hannah-Arendt-Preis (beide 2011).
Träger des seit 1950 in Frankfurt verliehenen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels waren zuletzt der US-amerikanische Informatiker, Autor und Musiker Jaron Lanier (2014), die weißrussische Schriftstellerin und diesjährige Friedensnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch (2013) und der chinesische Schriftsteller und Dissident Liao Yiwu (2012).