epd-bild/Badische Landeskirche
Der zehnjährige Kurt Salomon Maier (hinten 2.v.re.) wird am 22.10.1940 von seinem Wohnhaus in Kippenheim, Baden-Württemberg, nach Gurs deportiert.
«Dazwischen war nur Stacheldraht»
Kurt Salomon Maier und seine jüdische Familie überlebten die Deportation von 1940 ins Internierungslager Gurs
Sie hatten kaum zwei Stunden, das Nötigste zu packen und ihre Wohnungen zu verlassen. Vor 75 Jahren wurden rund 6.500 Juden in Baden, der Pfalz und im Saarland von der Gestapo abgeholt und ins südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert.
16.10.2015
epd
Ralf Schick (epd)

Karlsruhe, Gurs (epd)Kurt Salomon Maier aus dem südbadischen Kippenheim war zehn Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Gurs kam. Heute ist der in Washington beheimatete Maier einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen aus Baden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs verschleppt wurden. Am nächsten Donnerstag nimmt er an einer Gedenkfeier der badischen evangelischen Landessynode teil. Außerdem wird Maier zur zentralen Gedenkfeier am 25. Oktober in Neckarzimmern erwartet.

Extra ein Taxi bestellt

Nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wollten die NS-Gauleiter von Baden und der Pfalz, Robert Wagner und Josef Bürckel, ihre "Gaue" als die ersten im Deutschen Reich für "judenfrei" erklären. Eine Vereinbarung zwischen der deutschen Waffenstillstandskommission und der französischen Vichy-Regierung zur Abschiebung französischer Juden aus dem Elsass und aus Lothringen wurde von den Gauleitern so interpretiert, dass auch badische, pfälzische und saarländische Juden ausgewiesen werden sollten.

"Ich erinnere mich noch genau, als meine Eltern extra ein Taxi von Kippenheim nach Freiburg bestellten, um uns dort von der Schule abholen zu lassen", sagt der heute 85-jährige Kurt Salomon Maier. Dann mussten schnell die nötigsten Sachen zusammengepackt werden, als ein Militärlaster der Gestapo Maiers Großeltern, Eltern und den drei Jahre älteren Bruder "abholte" und auf den Bahnhof in Offenburg brachte.

"Gauleiter setzten auf Überraschungseffekt"

"Die Juden wurden nicht auf dem Marktplatz zusammengetrieben und dann zum Bahnhof geführt. Die beiden Gauleiter setzten ganz auf den Überraschungseffekt", sagte der Historiker und ehemalige Geschichtslehrer Frank Moraw jüngst in Heidelberg. Aus insgesamt 138 Orten in Baden wurden die jüdischen Bürger eingesammelt.

Zwei bis drei Tage habe die Fahrt mit dem Zug nach Südfrankreich gedauert, erinnert sich Maier. Zusammen mit einem halben Dutzend anderer jüdischer Familien wurden sie ins Internierungslager nach Gurs in den Pyrenäen nahe der spanischen Grenze gebracht. Kaum angekommen, erlitt sein Großvater einen Schwächeanfall und starb.

"Mein älterer Bruder wurde in der Männerbaracke untergebracht, ich in der Frauenbaracke mit meiner Mutter", erzählt Maier, "dazwischen war nur Stacheldraht". Morgens bekamen sie "eine Art Kaffee und ein Stück Brot, abends eine Suppe mit Rüben", die in Blechdosen serviert wurde. Viele Juden starben in Gurs an Typhus und Durchfallerkrankungen, weiß Maier, der selbst an Diphtherie erkrankte.

Über Casablanca nach New York

"Doch wir hatten Glück", sagt er: Weil seine Familie bereits Jahre zuvor auf dem Stuttgarter Konsulat einen Pass für die Ausreise nach Amerika beantragt hatte, bekamen die Maiers nach gut sechs Monaten in Gurs im August 1941 die Mitteilung, dass sie "jetzt an der Reihe" wären. Mit einem zugestellten Dokument fuhren die Maiers nach Marseille, um von dort mit dem Schiff über Casablanca nach New York auszuwandern.

In New York besuchte Kurt Salomon Maier die Schule, studierte danach deutsche Literatur. Seit 1978 arbeitet er in Washington an der dortigen Kongress-Bibliothek in der Literatur- und Geschichtsabteilung. Im Jahr 2010 wurde ihm der Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg verliehen. Vor vier Jahren hat er ein Buch über sein Leben geschrieben.