Shanty-Chor die Musiktradition der Seefahrer hoch - (mit Bild)
Würzburg (epd)Ron Hoover ist hin und weg. "Das war so ein toller Abend", sagt der Rentner aus Colorado und schiebt ein amerikanisches "great" hinterher. Und auch Steve Schaefer aus Ohio ist begeistert: "Ich hab' zwar fast nichts verstanden, aber man fühlt, was die Männer singen." Die Männer, das sind die Mitglieder des Würzburger Shantychors, die gerade auf dem Fluss-Kreuzfahrtschiff "M/S River Harmony" ihr Repertoire zum Besten gegeben haben. Genau: Franken, die Seemannslieder singen. In Englisch, auf Platt - oder zumindest dem, was der singende Franke daraus macht.
Mal mit Klamauk, mal mit Witzchen
Als die Chormitglieder an diesem Herbstabend die Lounge des Schiffes betreten, sieht man in den Gesichtern der amerikanischen und kanadischen Passagiere zunächst einmal viele Fragezeichen. Denn: Das Durchschnittsalter des Chors liegt jenseits des Rentenalters - und damit auch sicher über dem des Publikums. Doch die Zweifel sind schnell hinweggefegt, als die Sänger das "Gorch Fock Lied" anstimmen. Chorleiter Harald Götzelmann quetscht und zieht sein Schifferklavier, die Männer in ihren weißen Uniformen schmettern die Kehrverszeile "Weiß ist das Schiff, das wir lieben" ihren Zuhörern entgegen.
Wenn der Würzburger Shantychor auftritt, wird nicht nur gesungen. Alle gemeinsam liefern eine Show ab, mal mit Klamauk, mal mit Witzchen, launigen Ansprachen - vor allem aber doch mit kräftigem Gesang, untermalt von Akkordeon, Mundharmonika, Percussion und Gitarre. Bei den englischsprachigen Zuhörern kommen zwar auch die deutschen Seemannslieder gut an, als dann aber Gassenhauer wie "My Bonnie is over the Ocean" und "Fields of Athenry" oder auch "Bully in the Alley" anklingen, klatschen und singen die Passagiere mit. "Ich hab' selbst Matrosen in meiner Familie, ich liebe das", ruft eine Frau.
Die singenden Würzburger "Landratten" sind beliebt bei Reedereien aus Nordamerika, die Flusskreuzfahrtschiffe wie die "M/S River Harmony" in 14 Tagen von Wien aus nach Amsterdam schicken. "Ohne Proben klappt das natürlich nicht", sagt Chor-Organisator Jürgen Fuchs. Treffpunkt ist das Vereinsheim in der Nähe des Würzburger Hauptbahnhofs. Die Truppe gehört zur "Marinekameradschaft Admiral Scheer", 1921 gegründet und benannt nach dem Marinekommandanten Reinhard Scheer (1863-1928). 1974 dann wurde der Shantychor ins Leben gerufen.
Fränkische Landschaft wieder angelockt
Sie sind nicht die einzigen Süddeutschen, die Seemanslieder lieben: 32 Chöre listet die private Seite Shanty-Choere.de für Bayern und Baden-Württemberg auf. Der nach eigenen Angaben älteste ist der Matrosenchor München, den es seit 1961 gibt.
Früher durften nur aktive und ehemalige Seefahrer, Flussschiffer, Marine-Angehörige und Fischer Mitglied der Würzburger Marinekameradschaft sein. Irgendwann wurde dann mal eine Zehn-Prozent-Klausel eingeführt, um auch Nicht-Maritime aufnehmen zu können. Das ist lange her. Wie beinahe jeder Verein sind die Kameradschaft und ihr Chor froh über jedes neue Mitglied. "Die Mehrheit war aber nach wie vor auf einem Schiff beschäftigt oder eben zumindest als Wehrpflichtiger bei der Marine", sagt Chor-Chef und Kameradschafts-Vorsitzender Fuchs.
Einer von ihnen ist Dieter Seubert. Als 14-Jähriger packte der gebürtige Unterfranke seine Siebensachen und ging nach Hamburg. Nach nur drei Monaten Seemannsschule heuerte er an, fuhr dreieinhalb Jahre auf verschiedenen Schiffen zur See. "Dann hat mich das Land und die fränkische Heimat wieder angelockt", erzählt er. "Heute bedaure ich es ein bisschen, dass ich so schnell wieder heimwärts gezogen bin." Der zweite Kameradschafts-Vorsitzende Heinz Frassek war fünf Jahre bei der Handelsmarine - andere Shanty-Sänger wurden im Zweiten Weltkrieg als U-Boot-Matrosen eingezogen, wie etwa der 1926 geborene Valentin Rosel.
Kribbelt in mir
Allen gemein ist die Liebe zur See, zum Wasser, zum Singen. "Shantys waren eigentlich Arbeitslieder der Matrosen zur Zeit der Segelschiffe", sagt Chormitglied Bernt Lutter. Diese Ära hat auch der fast 80-Jährige nicht mehr selbst erlebt: "Aber Matrosen singen trotzdem noch gerne diese Lieder - aus Tradition, aus Nostalgie, weil sie ein eigenes Gefühl transportieren." Er selbst war mehr als ein Jahrzehnt auf See, fern seiner Heimatstadt Hamburg. Lutter ist einer der wenigen, die richtiges Platt snacken - und kein fränkisch adaptiertes "Bladd". "Ein echter Franke lässt sich eben nicht verleugnen", sagt Chorchef Fuchs und grinst.
Überhaupt die Heimat. Die spielt nicht nur in vielen Seemannsliedern eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Rolle. Auch für die Sänger des Würzburger Shantychores ist sie mehr als ein hohler Begriff. "Für die meisten ist Franken ihre erste Heimat - und die Sehnsucht nach der zweiten Heimat auf See, die stillen wir mit unseren Liedern", erklärt der Vereinschef. Und wie sieht das Bernt Lutter, der Exil-Hamburger? "In mir kribbelt das natürlich immer, wenn ich diese Lieder singe und höre - das ist ein Teil von mir", sagt er. Sein "anderer Teil" hat ihn in den Süden gezogen - seine Frau. Eine gebürtige Regensburgerin.