Frankfurt a.M. (epd)"Wir besprechen völlig andere Bücher als es professionelle Literaturkritiker tun würden", sagt Sarah Pritzel. Auf ihrem YouTube-Kanal "Damn Charming Lifestyle" empfiehlt die 27-Jährige Düsseldorferin seit 2012 Bücher. Vor allem Fantasy-Romane und Jugendbücher dominieren nach ihrer Beobachtung einen großen Teil der BookTuber-Szene - YouTube ist schließlich vor allem bei Jugendlichen beliebt.
Auf Augenhöhe
"Die meisten BookTuber nehmen die Bücher nicht so tiefgründig auseinander. Ich bin eher auf Augenhöhe mit meinen Zuschauern: als würde ich die Bücher einer Freundin empfehlen", beschreibt die Bloggerin ihr Hobby. Hauptberuflich betreut Pritzel Firmenauftritte in Sozialen Medien.
In ihren Videos erzählt sie ihren rund 6.000 Abonnenten, in einem roten Ohrensessel sitzend, ob ein Buch als leichte Unterhaltung geeignet ist, wie sehr sie sich mit den Protagonisten identifizieren kann, ob es deprimierend ist oder zum Nachdenken anregt. Pritzels Zuschauer sind durchschnittlich zwischen 18 und 25 Jahre alt. "Ich habe mit dem BookTuben angefangen, weil ich meine Meinung mit anderen teilen und über Bücher diskutieren wollte", sagt die 27-Jährige.
Werben auch für Lesezeichen
Während die Buchempfehlungen bei YouTube in Deutschland gerade erst aufkommen, haben sich BookTuber in den USA und Großbritannien bereits einen festen Platz im Buchgeschäft erarbeitet. Sie interviewen international bekannte Jugendbuchautoren, veröffentlichen Trailer für neue Bücher, wirken teilweise selbst an den kurzen Werbe-Filmen mit. Und sie verlinken mit sogenannten Affiliate-Links gegen Provision zu passenden Online-Shops. Neben Büchern halten sie oft auch passende Accessoires wie Lesezeichen in die Kamera.
Für die Verlage ist es Werbung, die punktgenau bei ihrer Zielgruppe ankommt. Mit ihrem Kanal "Abookutopia" erreicht die 18-jährige US-Amerikanerin Sasha Alsberg etwa bis zu 200.000 Abonnenten. Sie interviewte bereits die Bestseller-Autorin der "Twilight"-Romane, Stephenie Meyer.
Einen ähnlich großen Erfolg wie etwa Mode- und Lifestyle-Blogs hätten BookTuber bisher allerdings nicht, sagt Martin Spieles, Pressesprecher der Fischer Verlage. Allein die erfolgreichste Modebloggerin der Welt, Chiara Ferragni, soll im Jahr 2014 etwa sechs Millionen Euro umgesetzt haben. Die Buchbranche ist allerdings auch wesentlich kleiner als die Modeindustrie: Nach Angeben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wurden im vergangenen Jahr 9,3 Milliarden Euro umgesetzt. Allein für Schuhe und Kleidung gaben die Deutschen dem Statistischen Bundesamt zufolge im selben Zeitraum rund 73,4 Milliarden Euro aus.
Nur Fähnchen im Wind
Werbeeinnahmen, Produktplatzierungen und Geschenke großer Firmen haben vielen Bloggern den Ruf eingebracht, sie seien nur ein Fähnchen im Wind von Marketing- und PR-Abteilungen. Auch einigen BookTubern wird vorgeworfen, sie hätten kein ehrliches Interesse an Literatur, sondern vermarkteten schlicht Produkte. Viele scheinen aber noch ganz unbedarft aus dem heimischen Zimmer zu senden und einfach nur ihre Buchbegeisterung teilen zu wollen. Unter dem Schlagwort #WirsindBooktube wehren sich einige deutsche BookTuber gegen Vorwürfe, es gehe nur um Kommerz.
In Deutschland kooperieren mittlerweile einige große Verlage mit BookTubern: Sie schicken ihnen kostenlose Bücher und vereinbaren Besprechungen zum Erscheinungstermin. "Wenn es BookTuber schaffen, regelmäßig größere Aufrufzahlen zu erzeugen, arbeiten wir ganz normal mit ihnen zusammen - wie mit anderen Berichterstattern und Multiplikatoren", erklärt Spieles von den Fischer Verlagen. Random House hat eigens ein "Bloggerportal" eingerichtet, das sich an Buchblogger und BookTuber richtet.
Klassische Medien wie die Wochenzeitung "Die Zeit" scheinen in den BookTubern bisher keine Konkurrenz zu ihren Literaturkritiken im Feuilleton zu sehen. "Ich freue mich über jeden neuen Kanal, der den Echoraum der Literatur vergrößert", sagt Ijoma Mangold, Leiter des Literaturressorts bei der Wochenzeitung "Die Zeit". "Genau darum geht es doch in der Literatur: dass ein Gespräch über sie entsteht."
YouTube und Feuilleton als gegenseitige Inspiration
Auch die Neuauflage des "Literarischen Quartetts" im ZDF am 2. Oktober lässt nicht darauf schließen, dass die neuen Medien den etablierten Literaturkritikern das Publikum streitig machen: Rund 1,1 Millionen Menschen sahen zu, als der Kritiker-Streit seine Rückkehr unter der Leitung von Volker Weidermann feierte.
"BookTuber erweitern den Kreis derer, die sich für Literatur interessieren und nehmen niemandem etwas weg", urteilt Mangold. Im besten Falle könnten YouTube und die Feuilletons sich künftig gegenseitig inspirieren und ergänzen, so der Wunsch des Literaturkritikers.