Evangelische Kirche in Naßwald
Foto: Andreas Lisson
Die Rundbogenfenster der Kirche von Naßwald sind Symbol für die Widerspenstigkeit der Protestanten in dem Alpendorf.
"Die Fenster bleiben rund!"
Protestanten in Österreich
"Wir befinden uns im Jahre 1782 n.Chr. Ganz Österreich ist von Katholiken besetzt. Ganz Österreich? Nein! Ein von unbeugsamen Protestanten bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Rekatholisierung Widerstand zu leisten." So könnte die Geschichte von Naßwald beginnen, einem kleinen Dorf in dem über 2.000 Meter hohen Rax-Schneeberg-Massiv der ostösterreichischen Alpen. Von dort kommt an diesem Sonntag der Fernsehgottesdienst, der im ORF und im ZDF übertragen wird (25. Oktober ab 9.30 Uhr).
22.10.2015
Andreas Lisson und Diana Carmen Albu-Lisson

Zentrale Figur in der Geschichte von Naßwald ist der Unternehmer und Holztransport-Pionier Georg Hubmer (1755-1833), dem es gelang, durch autodidaktisch erworbene Ingenieurskunst große Mengen Brennholz aus den Wäldern der Alpen nach Wien zu bringen – auf dem Wasser. Dafür baute er Tunnel und leitete Bäche um. Als so genannter Schwemmeister wurde der Patriarch reich und berühmt, den Einheimischen ist er als "Raxkönig" bekannt. Selbst protestantisch aufgewachsen, gründete Hubmer ab 1782 die Holzfäller-Siedlung Naßwald, deren evangelische Einwohner sich nicht diskriminieren ließen. Zu diesem Zeitpunkt war der lutherische Glaube zwar seit genau einem Jahr geduldet, jedoch mit Einschränkungen. Pfarrer Andreas Lisson, der die Kirchengemeinden Naßwald und Gloggnitz betreut, hat die Geschichte der unbeugsamen Evangelischen gemeinsam mit seiner Frau Diana Carmen Albu-Lisson aufgeschrieben. Hier Auszüge aus seinem Text.

Österreich im 17. Jahrhundert: Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges trieb Kaiser Ferdinand III. (1608-57) die Rekatholisierung energisch voran. In jedem Landesviertel reisten so genannte "Reformationskommissionen" von Pfarre zu Pfarre und nahmen sich die "Irrgläubigen" vor. Sie mussten sich entscheiden: Bekehrung oder Auswanderung. Viele zogen den Glauben der Heimat vor und verließen das Land.

Pfarrer Andreas Lisson

In ländlichen und abgelegenen Gebieten konnte sich der Protestantismus aber behaupten. Die von der Nachwelt so genannten "Geheimprotestanten" bekannten sich zwar nach außen hin zum Katholizismus, hielten aber im Geheimen an der Lehre Luthers fest. Diese glaubenstreuen Österreicher versteckten ihre evangelischen Bücher und Lutherbibeln in Ställen, Mühlen, hohlen Bäumen und Höhlen. Von Zeit zu Zeit trafen sie sich sogar in abgelegenen Scheunen oder anderen entlegenen Orten zu improvisierten Gottesdiensten.

Mit Kaiser Josef II. (1741-90) kam endlich ein freisinniger Herrscher auf den Thron. Er war begeisterter Anhänger der Aufklärung. Am 13. Oktober 1781 erließ er das Toleranzpatent. Die Religionsausübung der Protestanten wurde nun unter bestimmten Auflagen vom Staat geduldet.

Nur langsam drang die Kunde vom kaiserlichen Toleranzpatent in die einsamen abgelegenen Täler, in die sich die evangelisch Gesinnten zurückgezogen hatten. Als aber in den Dörfern der Erlass verlesen wurde, hielt man ihn zunächst für eine List, um die restlichen Lutherischen aufzustöbern und auszuheben. Dann kam der große Tag, an dem auch in Georg Hubmers Heimatort Gosau das Toleranzpatent vorgetragen wurde. Eine Situationsbeschreibung aus Ludwig Drexlers Buch "Gottestaten":

Die Gosauer haben in der Zeit der grausamen Verfolgung viel mitgemacht. Gegen Fremde sind sie misstrauisch. Botschaft von Haus zu Haus ruft sie auf den Dorfplatz. Da steht der Bürgermeister mit zwei Männern, die unschwer als Gerichtsdiener zu erkennen sind. Angst kommt über die Leute. Nur langsam füllt sich der Platz. Der Abstand zwischen den Fremden und den Bauern ist breit. Fragen gehen leise von Mund zu Mund.

Da winkt der Bürgermeister. Ruhe – einer der Beamten beginnt mit der Verlesung eines Schriftstückes. Die Bauern können es nicht fassen und glauben, was sie da zu hören bekommen. Luthers Lehre soll nimmer mehr verboten sein. Ihrem und ihrer Väter Glauben wäre Duldung widerfahren!? Schon wird ein Tisch herbei geschleppt. Listen werden aufgelegt. Wer lutherisch sei, soll sich aufzeichnen lassen. Niemand meldet sich. Die Männer schweigen. Schon malt sich Freude auf den Gesichtern der Beamten. Die Ketzerei, so meinen sie, wäre den Leuten gründlich vergangen. Man hat ja gesorgt dafür.

Da drängt sich eine Frau durch die Reihen: Brigitta Wallner, eine Botenfrau, keine Bäuerin, ein "armer Teufel", wie die Leute sagen. In ihrem Tragkorb hatte sie unter den Waren versteckt oft genug evangelische Schriften und Bibeln ins Tal gebracht und verteilt. Hin und wieder wurde sie ertappt und abgestraft. Diese Frau tritt nun vor, geht gerade auf den Tisch zu und sagt: "Schreibts mi auf, von mir weiß ohnehin jeder, dass ich a Lutherische bin. Oft g'nug war ich deswegen eing'sperrt, wenn's nit wahr ist, was da g'sagt worden ist, dann könnt ihr mich gleich mitnehmen." Damit war der Bann gelöst. Einer nach dem anderen tritt herzu, nennt seinen Namen und bekennt sich zur Gemeinde des Herrn. 1086 Personen schrieben sich in die Liste der Übertretenden ein.

Beim Glockenläuten nahmen alle den Hut ab

Dies geschah am 26. Dezember 1781, zwei Monate nach Erlass des Toleranzpatents. Im Jahr darauf, 1782, zogen die Gebrüder Johann und Georg Hubmer mit ihren evangelischen Kameraden im Naßtal ein. Hier fanden sie keinerlei Infrastruktur vor. Außer vier kleinen Gehöften nur Urwald. Aber die beiden Holzhändler wussten folgendes: Hier gab es Arbeit. Und von nun an konnten sie sich ohne Furcht zu ihrem evangelischen Glauben bekennen.

Georg Hubmer ließ 1826 in Naßwald ein Bethaus errichten, das später aufgestockt und durch einen Turm ergänzt wurde. Die Kirche hat eine Besonderheit, die sie von allen anderen evangelischen Bethäusern der damaligen Zeit unterschied: die Rundbogenform ihrer Fenster! Diese architektonische Eigentümlichkeit stieß bei der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit auf Widerstand. Denn abgerundete Fenster waren für evangelische Bethäuser verboten. Zwar waren seit dem Toleranzpatent inzwischen einige Jahrzehnte vergangen, doch gab es für "Akatholiken", wie man Nichtkatholische damals nannte, nach wie vor gewisse Einschränkungen: Ein protestantisches Gotteshaus durfte nicht "Kirche", sondern musste "Bethaus" heißen. Der Bau musste vom Kaiser persönlich bewilligt werden. Es durfte z.B. keine abgerundeten Fenster, keinen Turm und keine Glocken haben. (Es hätte ja sein können, dass ein Katholik hineingeriet und sich mit lutherischer Glaubenslehre "infizierte".)

Der widerspenstige und querköpfige Georg Hubmer – mittlerweile bereits 70 Jahre alt – setzte seinen Willen trotzdem durch. Sogar Erzherzog Johann, der Bruder Kaiser Franz I., legte ein gutes Wort für ihn ein. Vom "Raxkönig" soll angeblich der berühmte Spruch stammen: "Die Fenster bleiben rund!" – Und die Fenster blieben rund!

Die Naßwalder hatten es außerdem geschickt verstanden, die Bestimmungen des Toleranzpatentes zu umgehen: Sie stellten einen frei stehenden Holzturm neben der Kirche auf und hängten drei Glocken mit den Namen "Glaube, Hoffnung, Liebe" auf. Sie hatten die Behörden überlistet, indem sie erklärten, ihr Glockenturm diene ausschließlich weltlichen Zwecken, wie z.B. der Einberufung einer Dorfversammlung. Die Naßwalder Heimatkunde – von Oberbaurat Richard Engleitner verfasst – gibt uns Aufschluss über die Frömmigkeit der Naßwalder des 19. Jahrhunderts: "Beim Läuten der Glocken, ob früh, mittags oder abends, nahm jeder Naßwalder auch im Gasthaus den Hut ab. Während des Gottesdienstes durfte an Sonn- und Feiertagen in den Gasthäusern weder gesungen, Karten gespielt, Kegel geschoben noch geschossen werden."

Porträt von Georg Hubmer (1755-1833)

Eines der Wesensmerkmale des Protestantismus – auch in Naßwald – ist die hohe Wertschätzung und Einrichtung des Bildungswesens für alle. Da Georg Hubmer Analphabet war und bei seinen vielen Vertragsabschlüssen immer wieder einen "Dolmetscher" benötigte, ließ er in den Wintermonaten Kinder und Erwachsene in seinem eigenen Wohnhaus in Hinternaßwald unterrichten. 1800 errichtete er eine kleine Schule mit Lehrerwohnung, später gab es eine vermutlich einklassige evangelische Volksschule im evangelischen Bethaus. Die Hubmer´sche Schwemmgesellschaft kam für die Entlohnung des Lehrers auf, so dass die Kinder kein Schulgeld zahlen mussten.

Mit "Allerhöchster Entschließung" errichtete Georg Hubmer 1833 mit eigenen finanziellen Mitteln und auf eigenem Grund den Evangelischen Friedhof am nördlichen Ortsrand von Naßwald. Ende März 1833 wurde Georg Hubmer fast 78-jährig als erster beigesetzt.

Die Marmorplatte seines Grabes enthält folgende Aufschrift:

Ruhe sanft von Deines Tagewerkes Last und Hitze!
Ob auch Deine Hülle modert,
bleibt doch Dein Name
unvergesslich und theuer allen,
denen Du Vater, Freund, Tröster und Rathgeber warst.

Unauslöschlich in diesem Thale,
eingegraben in des Berges Tiefen,
geschrieben in den Wäldern rings umher!
Und segnend, dankend ruft einst noch
der Enkel Stimme:


Hier ruht

Georg Hubmer,

geb. d. 11. April 1755
gest. d. 22. März 1833   
Matth. 25.v.21