Genug? Sind vier Wochen genug? Normalerweise hat Elke Rudloff, evangelische Senderbeauftragte für ZDF-Gottesdienste, anderthalb Jahre Zeit, um einen Fernsehgottesdienst zu planen. Das Konzept für den 11. Oktober stand längst – aus Köln sollte gesendet werden. Kirche klar, Prediger klar, Musik und Gäste, Kabelwege, Licht und Ton – alles vorbereitet. Doch dann sahen die Leute von der evangelischen Rundfunkarbeit, was in Deutschland gerade passiert: dass jeden Tag tausende Flüchtlinge an den Bahnhöfen ankommen, dass Bürger sie willkommen heißen und bejubeln. Sie sahen aber auch Frust, Gewalt und Überforderung, sie hörten auch fremdenfeindliche Stimmen. "Wir haben in der evangelischen Rundfunkarbeit den Anspruch, aufzunehmen, was Menschen berührt und bewegt", sagt der EKD-Medienbeauftragte Markus Bräuer.
Deswegen kam es nicht infrage, den Gottesdienst in Köln nur ein bisschen zurechtzubiegen. "In diesem Fall haben wir uns für die große Lösung entschieden und planen einen ganz neuen Fernsehgottesdienst." Für Elke Rudloff bedeutete das erstmal Stress. "Ich musste innerhalb von einem Tag eine Kirche und einen Pfarrer finden", erzählt die Pfarrerin. Sie erlebte zumindest ein kleines Wunder: "Am Ende dieses einen Tages traf beides zusammen. Ich hatte die Dortmunder Segenskirche gefunden, und deren Pfarrer Friedrich Reiffen war auch spontan bereit mitzuwirken." Doch dann kam ein Rückschlag. Das ZDF meldete sich: In der Segenskirche könnten sie schlecht filmen. Mit Hilfe des Dortmunder Superintendenten fiel die Wahl dann auf die St. Petri-Kirche, die mitten in der Stadt liegt und groß genug ist.
"Wir wünschen uns, dass der Funke überspringt"
Dortmund – die Stadt ist Elke Rudloffs Joker. "Wer solch eine Aufgabe in vier Wochen zu bewältigen hat, bevorzugt wahrscheinlich wie ich einen Ort, an dem er sich auskennt", erklärt die Pfarrerin, die früher beim Kirchenkreis Dortmund angestellt war, in Dortmund wohnt und daher viele Menschen in der Stadt kennt. "So kann ich mit Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen gleich als eingespieltes Team zusammenarbeiten", sagt Elke Rudloff. Auch Markus Bräuer findet, dass Dortmund ein passender Ort für das Thema Flüchtlinge ist, weil es in der Stadt eine große Erstaufnahmeeinrichtung gibt. Flüchtlinge sind hier also präsent, und auch am Dortmunder Bahnhof wurden sie herzlich empfangen.
Allerdings muss das Gottesdienst-Team in Dortmund wachsam sein. "Wir werden – anders als sonst – die Ehrenamtlichen im Drehbuch nur mit Vornamen nennen", sagt Elke Rudloff. Die Bedrohung durch Neonazis ist real: "Wir haben in Dortmund eine kleine militante rechtsradikale Szene, die auch schon Christen belästigt hat und versucht, in der Bevölkerung Hass auf Flüchtlinge zu schüren", berichtet die Pfarrerin, "doch damit hat sie zum Glück wenig Erfolg." Bürger und Politiker stellen sich den rechten Aufmärschen regelmäßig entgegen, und auch der Fernsehgottesdienst soll die klare Botschaft aussenden, dass jeder Flüchtling in dieser Stadt willkommen ist.
"Willkommen – Zug um Zug", so lautet der doppeldeutige Titel des Gottesdienstes. Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, ist beeindruckt, "wie viele Menschen sich selbstverständlich einsetzen und konkret etwas für eine freundliche Aufnahme der Flüchtlinge tun: auf Bahnhöfen, in Turnhallen, in Einkaufszentren, in Aufnahmeeinrichtungen, in Kirchengemeinden". Aber ihr ist – genauso wie anderen Kirchenleuten und Politikern – klar, dass die Stimmung teilweise kippt. Angst und Sorge, aber auch Feindseligkeit sind zu spüren. "Wir dürfen diese besorgten und kritischen Stimmen nicht tabuisieren; wir müssen sie ernstnehmen, sollten sie allerdings nicht verstärken", sagt die Theologin.
Deswegen will das Gottesdienst-Team versuchen, Mut zu machen – für die riesigen Herausforderungen, die die vielen Menschen aus Syrien, Afghanistan, Afrika und dem Balkan mitbringen. "Wir wünschen uns, dass die Willkommensfreude, die im September so deutlich an den Bahnhöfen und Drehkreuzen zu spüren war, wie ein Funke überspringt", sagt Elke Rudloff. "Jetzt geht es darum, dass die Flüchtlinge im ganzen Land untergebracht werden, auch in den Vororten. Da ist die Situation aber eine andere: Die große Offenheit und Herzlichkeit von den Bahnhöfen ist in den Vororten nicht selbstverständlich." Auch Annette Kurschus sieht das realistisch: "Vor uns liegt ein langer, mühsamer Weg", sagt die Präses. "Es ist ein gemeinsamer Weg in Neuland, das wir noch nicht kennen."
Wunder wie die Speisung mit Manna in der Wüste
Die Präses vermutet: "Viel mehr noch als die steigende Zahl der Flüchtlinge machte deren Fremdheit vielen Angst. Fremdheit lässt sich nur durch Begegnung überwinden." Genau das könnten Kirchengemeinden besonders gut, findet Kurschus, indem sie Flüchtlinge zum Essen einladen oder Aktionen für Familien und Kinder organisieren. "Für besonders wichtig halte ich alle Aktivitäten, die Begegnung und Kennenlernen ermöglichen." Ein schönes Beispiel, dass Fremdheit von beiden Seiten überwunden werden kann, ist ein Jugendlicher aus Guinea, der im Gottesdienst mitwirken wird. Seit zwei Jahren lebt er in Dortmund. Elke Rudloff mag seine Geschichte: "Er ist über Belgien gekommen und dort nachts einfach in einen Zug nach Deutschland gesetzt worden. Irgendwann hörte er, dass die nächste Stadt Dortmund heißt. Da hat er sich gedacht: 'Ach, da gibt es einen bekannten Fußballverein, da steig' ich mal aus.'" Elke Rudloff weiß zwar nicht, ob der Jugendliche Kontakt zu Borussia Dortmund aufgenommen hat, "aber auf jeden Fall fühlt er sich hier wohl, geht zur Schule und macht so seinen Weg, das ist sehr schön zu sehen".
Die Präses will mit ihrer Predigt Vertrauen wecken – bei den Flüchtlingen genauso wie bei denen, die helfen und bei denen, die Angst haben. "Gott wird für uns sorgen. Und zwar jeden Tag mit dem, was wir für diesen einen Tag brauchen. Es ist genug für alle da." Ob Annette Kurschus selbst an Wunder glaubt? Wunder wie die Speisung mit Manna in der Wüste? Na klar – schließlich hat sie welche erlebt! "Vieles in meinem eigenen Leben betrachte ich im Nachhinein als 'Wunder'", sagt Kurschus. "Ich bin nicht meines eigenen Glückes Schmiedin – alles, was wirklich kostbar ist in meinem Leben, konnte ich mir nicht erarbeiten oder verdienen. Es ist Geschenk – also letztlich ein Wunder."