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Nachdem die DDR am 9. November 1989 ihre Grenzen geöffnet hat, warten vor dem Brandenburger Tor in West-Berlin zahlreiche Menschen auf die Maueröffnung.
Biedenkopf: Weder der Osten noch der Westen waren auf die Einheit vorbereitet
Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) bedauert im epd-Gespräch, «dass die Wiedervereinigung nicht als historische Chance genutzt wurde, ganz Deutschland zu erneuern».
02.10.2015
epd
Michael Bartsch (epd-Gespräch)

Dresden (epd)"Die Folge war eine Ausdehnung der westdeutschen Besitzstände sowohl sozialpolitisch wie wirtschaftspolitisch wie bürokratisch auf Ostdeutschland", sagte der CDU-Politiker dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit.

Dennoch habe der Beitritt der DDR das nunmehr geeinte Deutschland insbesondere hinsichtlich seiner europäischen Rolle positiv verändert, sagte Biedenkopf weiter. Deutschland habe lernen müssen, "die neue Verantwortung und die Europäisierung als größtes und wirtschaftlich stärkstes Mitglied der EU mitzugestalten". Diese Verantwortung, ja eine Führungsrolle Deutschlands, werde inzwischen weltweit registriert.

Tendenzen zur Entsolidarisierung

Natürlich könne heute über wünschenswerte Alternativen zum realen Ablauf des Vereinigungsprozesses räsoniert werden, sagte Biedenkopf weiter. Doch die Forderung der Ostdeutschen nach schneller Einführung der D-Mark und die sonst drohende Massenabwanderung hätten einen enormen Handlungsdruck erzeugt. "Hätte man nicht sofort gehandelt und die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 in Kraft gesetzt, wäre es als Folge des zunehmenden Verlustes von Facharbeitern an Westdeutschland kaum noch möglich gewesen, eine wirtschaftliche Erneuerung der DDR in angemessener Zeit zu bewerkstelligen", konstatierte der bis 2002 amtierende sächsische Ministerpräsident.

Mit großer Sorge beobachte er Tendenzen zur Entsolidarisierung und zur Desintegration in Europa, wie sie durch das Flüchtlingsproblem aufbrächen. Das sei "eine ungeordnete Reaktion auf die zentralistischen Tendenzen der politischen Integration Europas". Es sei allerdings eine Illusion, als Ziel der europäischen Integration eine Art europäischen Staat zu propagieren, betonte Biedenkopf. Dies stehe im Widerspruch zur "eigentlichen Natur Europas". In unruhigen und ungewissen Zeiten erinnerten sich die Menschen dann ihrer historischen, kulturellen und politischen Identifikationen.

Aus diesem ungeregelten Prozess könne aber eine sachgerechtere Gestaltung Europas erwachsen. Weniger beunruhigt zeigte sich der 85-jährige Politiker vom angeschlagenen Ruf Sachsens, für den fremdenfeindliche Übergriffe und die "Pegida"-Bewegung verantwortlich gemacht werden. Er richte sich nicht nach gegenwärtigen Eindrücken, sondern vertraue der großen Mehrheit der Sachsen.