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Rechtsextreme griffen im August vor der Asyl-Notunterkunft in Heidenau in Sachsen Polizisten an.
Letzter DDR-Hochschulminister Meyer von Hass- und Gewaltausbrüchen überrascht
Der langjährige sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer äußert sich im epd-Gespräch überrascht von der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland. Mit Hasspredigern und Miltläufern müsse man reden - das sei die einzige Chance, sagt er.
02.10.2015
epd
Michael Bartsch (epd-Gespräch)

Dresden (epd)Mit Blick auf die deutsche Wiedervereinigung vor 25 Jahren hat sich der letzte DDR-Hochschulminister und langjährige sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer fassungslos über einen Verfall an politischer Kultur geäußert. Noch bei Abschluss des Manuskriptes für sein jetzt erschienenes Erinnerungsbuch "In keiner Schublade" Ende 2013 hätte er solche "Abgründe" nicht für möglich gehalten, sagte Meyer mit Blick auf Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In seinem Buch kritisiere er zwar schon die Neigung seiner "Mit-Ossis" zur Fremdenfeindlichkeit und ihre wenig geübte Fähigkeit, sich auf Diskussionen einzulassen. Er habe aber geglaubt, dass der gerade im osteuropäischen Vergleich messbare wirtschaftliche Erfolg Sachsens und anderer ostdeutscher Länder auch die beste Voraussetzung für demokratisches Verhalten biete.

Mit Hasspredigern reden

Nach wie vor hält Meyer aber einen erfolgreichen Staat für den besten Garanten einer stabilen Demokratie. Dabei müsse sich dieser Staat angesichts der aktuellen Herausforderungen jedoch als handlungsfähig erweisen. Hier beklagt der bis 2002 in Sachsen amtierende Minister gegenwärtig Defizite in einer "Republik des endlosen Diskurses", zumal nach seiner Auffassung die Herausforderungen durch den Flüchtlingsstrom erst am Anfang stehen. Schon bei der Hochschulgesetzgebung nach 1990 hatte sich Meyer für straffe Leitungsstrukturen eingesetzt.

Die 1989 wieder gewonnene Freiheit sei kein einmaliges Geschenk, sondern erfordere eine "permanente ethische und kulturelle Anstrengung", sagte Meyer, der am 1. Oktober 1990 für die aufzulösende DDR in New York den Zwei-plus-vier-Vertrag mit den ehemaligen Besatzungsmächten unterschrieben hatte. Die einzige Chance, Hassprediger und Mitläufer der Straße wiederzugewinnen bestehe darin, mit ihnen zu reden. Dabei sollten ihnen Politiker aber nicht "nach dem Maul reden", sondern sich von nazistischem Gedankengut abgrenzen und klare ethische Positionen äußern. Der langjährige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken fügte hinzu, es sei "unfassbar widersinnig" und "kabarettreif", wenn 'Pegida'-Anhänger, "die in den letzten Jahrzehnten nie eine Kirche von innen gesehen haben", plötzlich Weihnachtslieder anstimmten.

Der ehemalige Anglistik-Professor Hans Joachim Meyer macht für eine Erosion des Staatsverständnisses auch die Judikative und insbesondere das Bundesverfassungsgericht mitverantwortlich. Die Grundrechte seien in einer "gemeinsamen Ordnung der Freien" formuliert, die sich über den Artikel 18 des Grundgesetzes selber schütze. Das Verfassungsgericht mache daraus "Abwehrrechte" gegen den Staat. Diese Tendenz hält der fast 79-jährige Meyer für in sich widersprüchlich.