Können Menschen aus dem gleichen Herkunftsland mit dem gleichen kulturellen Hintergrund sich besser verstehen und dadurch Streits schneller beiseite legen?
Ilka Quindeau: Diese Annahme trifft nicht unbedingt zu. Das zeigt beispielsweise die hohe Rate an häuslicher Gewalt. Zudem gibt es ja auch Streitigkeiten in jedem Freundeskreis und in jeder Familie. Ich finde es schwierig, durch eine Trennung kann es auch zu einer Art Ghetto-Bildung kommen. Den Menschen, die kommen, sollte man besser ein Stück neues Zusammenleben mit anderen Leuten bieten und sie nicht in ihren Herkunftsgruppen belassen.
Die Erstaufnahmeeinrichtung hat das Riesenproblem, dass sie eigentlich nicht als Massenunterkunft ausgelegt ist. Wir müssen wegkommen von dieser bürokratischen Verwaltung von Leuten. Das ist vom traumatherapeutischen Aspekt her katastrophal. Es verstärkt die Traumafolgen, wenn man die Leute in diesen Massenunterkünften unterbringt. Deswegen löst es auch nicht das Problem, wenn man sie zum Beispiel nach Christen und Muslimen trennt, oder nach Pakistanern und Albanern.
Wie bewerten Sie die momentane Diskussion um die Trennung der Menschen nach Ethnien und Religionen, die die Gewerkschaft der Polizei angestoßen hat?
Quindeau: Das ist eine problematische Diskussionlinie, weil sie versucht die Flüchtlinge zu einer Bedrohung zu stilisieren. Weil sie impliziert, dass die Flüchtlinge den Konflikt aus ihren Herkunftsländern mit ins Aufnahmeland tragen. Das mag vereinzelt der Fall sein. Aber aus meiner Erfahrung heraus ist das nicht in nennenswerter Weise der Fall. Im Gegenteil: Man stellt fest, dass dann im Aufnahmeland die Konflikte, die im Herkunftsland bedeutsam waren, an Bedeutung verlieren.
Weil anderes in den Vordergrund rückt?
Quindeau: Ja, und oft ist es auch so, dass die Konflikte, die scheinbar religiös sind, oft nur ein Vorwand sind. Die Religion wird zum Vorwand genommen, um Verteilungskonflikte auszutragen. Religion kann ein Vehikel für ganz andere Probleme sein, beispielsweise für die ungleiche Verteilung von Ressourcen: von Geld oder Arbeit.
Ist der Vorschlag Flüchtlinge zu trennen gefährlicher Populismus?
Quindeau: Ja, das würde ich sagen. Es ist weder besonders praktikabel noch tatsächlich hilfreich. Von daher sollte man lieber die Energie dahinein investieren, dass die Verfahren beschleunigt werden und die Unterkünfte individualisiert werden.
"Typische Traumafolge: die erhöhte Reizbarkeit"
Was kann außer der Enge der Massenunterkünfte noch Stress und Streit auslösen?
Quindeau: Im Prinzip kann jeder Punkt einen Konflikt auslösen. Man muss einfach darüber nachdenken: Was macht die Flucht mit den Menschen? Da finden wir als ganz typische Traumafolge die erhöhte Reizbarkeit. Das kennt jeder, der schlecht geschlafen hat. Am nächsten Tag ist man eher gereizt und kommt leichter in Konflikt mit Menschen, als wenn man ausgeruht und ausgeglichen ist.
Durch traumatische Erfahrungen wird das noch verstärkt und dauerhaft. Also muss man umgekehrt versuchen die Lebensbedingungen dieser Menschen so zu gestalten, dass es mehr Rückzugsmöglichkeiten für sie gibt. Seit vielen Jahren haben wir festgestellt, dass die psychischen Folgen einer Flucht dann auftreten, wenn die Menschen in Sicherheit sind. In dem Moment also, wo sie dort ankommen, wo sie bleiben können. Dann treten die ganzen psychischen Belastungen auf, die während der Flucht, während der unmittelbaren Bedrohung, unterdrückt werden. Die ganze Angst kommt dann in der Sicherheit hoch. Also in der Zeit, in der die Leute in der Erstaufnahmeeinrichtung sind.
Sie haben Flüchtlinge in Behandlung. Gibt es psychologische Begleitung in Erstaufnahmeeinrichtungen?
Quindeau: Nein, es gibt gar keine Betreuung. Das ist ein Riesenproblem. Wir bauen im psychoanalytischen Zentrum in Frankfurt gerade eine Ambulanz für Flüchtlinge auf. Wir wollen Flüchtlingen erste Angebote machen, die sie unterstützen, ihre Traumatisierung zu verarbeiten.
Es gibt in der Regel gar keine psychologische Betreuung, weil die Menschen ja auch nicht krankenversichert sind. Das schafft große Probleme. Nordrhein-Westfalen hat es so gelöst, dass Flüchtlinge Gesundheitskarten bekommen und bei akuten Problemen zu Fach- und Hausärzten gehen können. In Hessen und anderen Bundesländern läuft alles nach wie vor über das Sozialamt.
"Je eher Traumatisierungen behandelt werden, desto kürzer sind die Behandlungszeiten"
Man sollte die Flüchtlinge generell mit Gesundheitskarten ausstatten, denn das ist eine Investition in die Zukunft. Es ist bekannt: Je eher Traumatisierungen behandelt werden, desto kürzer sind die Behandlungszeiten und desto größer die Behandlungserfolge.
Es ist aber auch bei Menschen, die hier leben, ein großer Schritt sich in eine Behandlung zu begeben. Das wird bei Flüchtlingen nicht anders sein...
Ja, das sehen wir ganz stark bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, vor allem bei jungen Männern, die teilweise hochbelastet sind, aber überhaupt nichts mit Psychotherapie zu tun haben wollen. Sie haben eine ganz große Ablehnung und fühlen sich stigmatisiert durch die Idee, in Psychotherapie zu gehen. Aber auch da entwickeln wir hier in Frankfurt im Moment Angebote, um diese Jugendlichen in Ansätzen zu betreuen, ohne es Psychotherapie zu nennen. Es sind Gruppenangebote..
... die am Institut für Traumabearbeitung in Frankfurt stattfinden.
Ja. Und leider ist das bisher einzigartig. Wir vom Fachgebiet Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der University of Applied Science in Frankfurt begleiten das Projekt wissenschaftlich und hoffen auf Nachahmer. Denn diese traumapädagogischen Gruppenangebote funktionieren anscheinend ganz gut. Intensivere Angebote wären zwar wünschenswert, sie sind aber auch schwierig zu machen aufgrund von fehlenden Dolmetschern und fehlenden finanziellen Mitteln. Deswegen setzen wir im Moment auf die niedrigschwelligen traumapädagogischen Angebote.