Frankfurt a.M., Hamburg (epd)Das lang gerollte "r" war sein unverwechselbares Markenzeichen. Hellmuth Karasek nutzte es besonders gern, um Werturteilen einen besonderen Nachdruck zu verleihen. "Großartig", sagte er dann, oder auch: "Grässlich." Die Fernsehzuschauer hörten diese beiden Wörter häufig, als er von 1988 bis 2001 beim "Literarischen Quartett" im ZDF mitwirkte, wo er die Rolle des Widerparts von Marcel-Reich Ranicki mit viel Wissen, engagierter Körpersprache und einer ordentlichen Portion Humor ausfüllte. Reich-Ranicki starb 2013. Nun ist Karasek am Dienstagabend im Alter von 81 Jahren in Hamburg gestorben.
Mit Karasek verlässt ein vielseitiger und immer auch dem Populären zugeneigter Autor die deutsche Kulturbühne. Bis zuletzt war er für Überraschungen gut, etwa als er den Ikea-Katalog in einem Werbespot des schwedischen Möbelhauses rezensierte. Kultur-Puristen fanden solche Auftritte peinlich, aber Karasek ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Im "Literarischen Quartett" erzählte er immer wieder Witze, die er seit seiner Jugend in allen Varianten gesammelt hatte. Ob die Pointen zündeten oder nicht, war zweitrangig. "Der Witz ist eine gute Erklärung für den Ernst des Lebens", sagte er im März dieses Jahres der Schweizer Zeitung "SonntagsBlick".
Enorm produktiv
Der Mann, dem hinter der dünnrandigen Brille stets der Schalk aus den Augen zu blinzeln schien, hatte im Nachkriegsdeutschland eine beeindruckende Karriere gemacht. 1934 im mährischen Brünn geboren, floh er mit seiner Familie 1944 aus dem oberschlesischen Bielitz nach Bernburg/Saale in Sachsen-Anhalt. Karasek studierte in Tübingen Germanistik, Geschichte und Anglistik. 1960 wurde er Redakteur bei der "Stuttgarter Zeitung" und avancierte dort zum Feuilletonchef.
Nach einer Zwischenstation als Chefdramaturg des Württembergischen Staatstheaters wechselte er zur Wochenzeitung "Die Zeit", wo er bis 1974 Feuilletonredakteur war. Anschließend arbeitete er für den "Spiegel", bis 1991 als Kulturchef und bis 1996 als Autor. Als Mitherausgeber des "Tagesspiegels" baute er von 1997 bis 2004 das Kulturressort des Berliner Blattes aus und schrieb zudem Kolumnen über Prominente des Kulturbetriebs. Zuletzt arbeitete er als fester Autor für die Zeitungen des Axel-Springer-Verlags.
Karaseks enorme Produktivität zeigte sich auch in den zahlreichen Nebentätigkeiten, für die er erstaunlicherweise noch Zeit fand. Er war ein Mensch, dem Literatur, Theater und Kino fast alles bedeuteten, der sich in der Kulturgeschichte bestens auskannte, aber auch neue Trends fast gierig aufsog. Im "Literarischen Quartett" erzählte er einmal, wie er sich gegen Mitternacht - nach getaner Tagesarbeit - mit einem Glas Rotwein in den Sessel zu setzen pflegte, um die Bücher der nächsten Sendung zu lesen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" verpasste ihm den Titel "publizistisch schillernder Turbokarpfen im Teich der grauen Hechte".
Wochenlang diskutiert
Mit Sachbüchern über Max Frisch, Carl Sternheim oder Billy Wilder festigte Karasek seinen Ruf als seriöser Experte. Immer wieder veröffentlichte er aber auch gezielte Provokationen. So löste er 1978 mit dem "Spiegel"-Artikel "Brecht ist tot" einen Skandal aus. Die geschliffene Polemik, die Bertolt Brecht zum "hemmungslosen Vereinfacher" degradierte, wurde wochenlang in den Feuilletons diskutiert. 1998 eckte Karasek mit seinem Debütroman "Das Magazin" an, in dem er seine Zeit beim "Spiegel" nur wenig verschlüsselt in Anekdotenform verarbeitete.
"Man könnte dem Ikea-Buch vorwerfen, dass es mehr Bilder als Personen hat", führte Karasek im August dieses Jahres mit ernster Stimme aus. "Es erzählt viel, aber es ist sozusagen vollgemüllt mit Gegenständen." Der Mann, der die Welt in Witzen erzählen wollte, hätte vermutlich auch seinen Todeszeitpunkt passend gefunden: Am Freitag startet das ZDF mit einer Neuauflage des "Literarischen Quartetts".