In dem Dreiteiler "Die Rebellin" (2008) war es die Aufbruchstimmung der Fünfzigerjahre, in "Deckname Luna" sind die Sechziger dran: Erneut ist es dem Trio Christian Jeltsch und Monika Peetz (Buch) sowie Ute Wieland (Regie) gelungen, das Klima eines Jahrzehnts mit den fesselnden Erlebnissen einer jungen Frau zu kombinieren; auch "Deckname Luna" erzählt Geschichte im Rahmen einer Geschichte. Diesmal ist es zwar kein Dreiteiler geworden, aber die beiden Teile dauern insgesamt immerhin vier Stunden; und sind trotzdem keine Minute zu lang. Die Spannung mag in den zweiten 120 Minuten nicht mehr ganz hoch sein wie im ersten Teil, aber das hat nicht zuletzt dramaturgische Gründe: Ist der Film zunächst ein Stasi-Drama, entwickelt er sich mehr und mehr zur Romanze; und während im Osten vor allem der Mangel verwaltet wird, muss die Heldin nach ihrer Flucht in den Westen erst mal die geballte Lebenslust verkraften.
Dank der epischen Länge können es sich Jeltsch und Peetz zudem leisten, potenziell klischeehafte Nebenrollen differenziert darstellen zu lassen. Davon profitiert in erster Linie Heino Ferch als Stasi-Offizier, der menschliche Seiten zeigen darf und sich sogar in eine "Klassenfeindin" verliebt. Dieser Julius Moll ist ohnehin der Motor der Handlung, denn er bringt die Heldin der Geschichte überhaupt erst in die Bredouille, ihren geliebten Großvater ausspionieren zu müssen: Die junge Rostockerin Lotte Reinhardt (Anna Maria Mühe), Enkelin des renommierten Raketentechnikers Arthur Noswitz, will unbedingt Kosmonautin werden; ihr Idol ist Jurij Gagarin, der erste Mensch im Weltraum. Als 1961 die Mauer gebaut wird, schließt sie sich empört einer Gruppe von Dissidenten an und verteilt Flugblätter. Sie wird verhaftet und flieht nach ihrer Freilassung mit Hilfe ihres Bruders Kurt (Ludwig Trepte) in den Westen zu Tante Martha (Stefanie Stappenbeck) nach Augsburg. Dort lebt mittlerweile auch ihr Großvater (Götz George), den sie eigentlich in Russland wähnte; er arbeitet jetzt für den Westen. Damit hat Moll sein Ziel erreicht: Kurt ist als Fluchthelfer zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden, aber wenn Lotte ihren Opa ausspioniert, sorgt er dafür, dass Kurt freikommt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
All das ist allerdings bloß das Grundgerüst einer bemerkenswert komplexen Handlung. Immer wieder ergänzt das Drehbuch Lottes Geschichte um sehenswerte Seitenstränge, die nie bloß Beiwerk sind. Schon auf der Zugfahrt nach Augsburg lernt sie Oskar kennen, der sich später als Mitarbeiter ihres Großvaters entpuppt. Maxim Mehmet und Anna Maria Mühe haben bereits in der ARD-Märchenverfilmung "Die kluge Bauerntochter" wunderbar zusammengepasst; hier verleihen sie dem Spionagethriller durch die Romanze von Lotte und Oskar eine ganze neue Farbe. Außerdem sorgen Jeltsch und Peetz immer wieder für Überraschungen. Ein echter Knüller ist Molls zufällige Entdeckung, dass Lotte Reinhardt bereits vor zwanzig Jahren verstorben ist. Wer aber ist dann die junge Frau, die er auf ihren vermeintlichen Opa angesetzt hat?
Natürlich mischen auch die Geheimdienste in der Geschichte mit, schließlich geht es beim Wettlauf ins All um die prestigeträchtige Landung auf dem Mond; dank eines mysteriösen Topspions namens "Kosmos" sind die Sowjets stets auf dem neuesten Stand der westlichen Forschung. Ohnehin werden zeitgeschichtliche Ereignisse wie Mauerbau, Kubakrise oder die Ermordung John F. Kennedys immer wieder geschickt eingeflochten. Der geteilte Bildschirm ist in diesem Momenten mehr als bloß Spielerei, denn er zeigt gleichzeitig die Nachrichten wie auch die Reaktionen der Figuren zeigt. Ein Genuss ist zudem hüben und drüben die Rekonstruktion des Jahrzehnts (Szenenbild: Frank Polosek).
Doch bei aller Bewunderung für Ute Wielands Inszenierung und die mutige Genremixtur aus Stasi-Drama, Romanze und Spionagethriller: Letztlich sind es die Figuren, die diesen Zweiteiler so packend machen. Der eingesperrte Kurt sorgt schließlich für eine grimmige Allegorie auf die DDR: Er hat sich mit einer Küchenschabe "angefreundet", aber als er sie daran hindern will, die Zelle zu verlassen, zertritt er sie versehentlich. Teil zwei folgt am Donnerstag.