Frankfurt a.M. (epd)Der Animationsfilm "Alles steht Kopf" handelt von ziemlich abstrakten Dingen: von unterschiedlichen, auch unangenehmen Gemütszuständen und der Art, wie wir unsere Erinnerungen organisieren. Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem eingebildeten Freund. Viele Kinder haben so einen. Aber als Erwachsene erinnern sie sich nicht mehr daran. Vielleicht ist es ihrem imaginären Begleiter so ergangen wie der Filmfigur Bing-Bong: auf der Müllhalde des Vergessens gelandet, buchstäblich.
Äußerlich ist Bing-Bong eine typische Animationsfilmkreatur, knallbunt, ein Hybrid zwischen Mensch, Tier und Süßigkeit. Er sieht sicher keinem der imaginären Freunde ähnlich, die ein hiesiger Kinozuschauer gehabt haben mag. Trotzdem erkennt man ihn sofort. Und darin liegt der ganz besondere Zauber dieses Films: Trotz des abstrakten Themas erscheint alles augenblicklich einleuchtend.
Die ewige Spaßverderberin
In der Rahmenhandlung von "Alles steht Kopf" geht es um ein Mädchen namens Riley, das als glückliches Kind die Welt begreifen lernt. Bis sie als Elfjährige in eine erste ernsthafte Krise gerät, als ihre Eltern mit ihr von Minnesota nach San Francisco ziehen. In der neuen Schule findet sie nicht so schnell Anschluss, die Eltern sind im Umzugsstress und haben nur wenig Zeit für sie. Die eigentliche Handlung aber spielt sich derweil in ihrem Innern, ihrem Gemüt ab.
Dort leisten fünf Gestalten mit unterschiedlichen Aufgaben ihren Dienst: Freude, mit sonnengelbem Kleid und blauen Haaren, gibt den Ton an, immer optimistisch, immer lösungsorientiert, das dominante Element. Ekel, grünlich und zickig, Ärger, rot und breit, und Angst, grau und vorsichtig, gehen ihr zur Hand. Und dann gibt es noch Kummer, blau und langsam. "Ich weiß auch nicht, was sie eigentlich hier soll", sagt Freude einmal über Kummer, die als ewige Spaßverderberin auftritt. Das aber bildet den eigentlichen roten Faden des Films: Zusammen mit all den seltsamen Gestalten, sei es den menschlichen Figuren oder den metaphorischen, zu begreifen, welch produktive Rolle Kummer und Traurigkeit im Leben haben.
Das klingt nach einem fast zu ernsten Stoff für einen Pixar-Disney-Film. Doch auch mit bedeutungsvoller Botschaft ähnelt "Alles steht Kopf" gleichzeitig einer wilden Vergnügungsparkreise, bei der aber nicht nur die Sinne, sondern eben auch der Geist herausgefordert werden. Kein Animationsfilm der letzten Jahre war gestalterisch so einfallsreich.
Regale voller Erinnerungen
Die Welt, die hier entworfen wird, das "Gemüt" des Mädchens, ist so fantasievoll wie witzig: Da gibt es die Kommandozentrale, die natürlich an diverse Raumschiffe erinnert. Es gibt fliegende Inseln, die für Wesenszüge wie "Sinn für Blödsinn", "Freundschaft" und "Familie" stehen. Und ein gigantisches Archiv, das das Gedächtnis versinnbildlicht, mit meterhohen Regalen voller farbiger, kugelförmiger Erinnerungen. Dort treffen Freude und Kummer im Lauf der Handlung unter anderem auf zwei schweigsame Typen mit Staubsaugern. Die lassen so manche Kugel einfach ganz verschwinden.
Mit anderen aber, bevorzugt mit nervigen Melodien, erlauben sie sich einen besonderen Spaß und schicken sie ins Bewusstsein zurück: Eine charmantere Illustration des Phänomens "Ohrwurm" hat es im Kino noch nicht gegeben. Überhaupt: Von der "Traumfabrik" bis zum "Gedächtniszug" gibt es eine Fülle an originellen Einfällen zu entdecken, für die sich dringend ein zweiter Kinobesuch empfiehlt.