epd-bild / Friedrich Stark
Der jahrelange Betrug bei Abgas-Werten lasse auf eine bedenkliche Unternehmenskultur bei VW schließen, sagt der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge (Archivbild von der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt).
Wirtschaftsethiker: VW-Manipulation kaum ohne Wissen der Konzernspitze möglich
Was sagt der systematische Betrug bei Abgas-Werten über die Unternehmenskultur von VW aus? Und was sollte der Konzern jetzt tun? Eine Einschätzung vom Wirtschaftsethiker Christoph Lütge im epd-Gespräch.
24.09.2015
epd
David Schäfer (epd-Gespräch)

München (epd)Mit dem Rücktritt und der Unschuldsbeteuerung von Vorstandschef Martin Winterkorn im Abgas-Skandal ist der VW-Konzern nach Expertenmeinung noch lange nicht aus dem Schneider. "Es ist natürlich schwierig, von außen zu spekulieren. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass niemand in der Konzernspitze davon gewusst hat", sagte Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik an der TU München, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Hier hat es eine krasse Fehleinschätzung über die möglichen Folgen im Fall einer Bekanntwerdung gegeben." Der große Druck auf dem Markt und an Umsatz gekoppelte Boni für VW-Manager könnten den Vorgang nicht alleine erklären. Es gelte nun herauszufinden, wie es bei solch einem renommierten Unternehmen über Jahre hinweg zu systematischem Betrug kommen konnte.

In den letzten fünf bis zehn Jahren habe es diesbezüglich in den meisten großen Firmen ein Umdenken gegeben, was nicht zuletzt durch den Siemens-Skandal im Jahr 2006 - Beschäftigte hatten Geld des Unternehmens veruntreut - ausgelöst worden sei. "Die Wirtschaftsethik dient als Frühwarnsystem, das darauf hinweist, wann ein moralisches Risiko zu einem ökonomischen Risiko wird", erklärte Lütge. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass bei Firmen wie Siemens oder MAN sogenannte Compliance-Abteilungen dabei helfen, solche Fehler zu vermeiden. Compliance bedeutet so viel wie integres Verhalten und die Einhaltung von gesetzlichen und moralischen Richtlinien.

"Bedenkliche Unternehmenskultur"

"Ich bin überrascht davon, dass sich bei VW über Jahre hinweg niemand getraut hat, den Mund aufzumachen. Die Entscheidung, mit einer Software die Abgas-Werte zu schönen, muss sehr viele Positionen durchlaufen haben. Dass scheinbar niemand an der richtigen Stelle auf das große Risiko dieses Vorgehens hingewiesen hat, lässt auf eine bedenkliche Unternehmenskultur schließen", sagte der Ökonom und Philosoph.

Obwohl VW kurz- und mittelfristig sein eigenes Image stark beschädigt hat, glaubt Lütge daran, dass sich der Konzern langfristig von diesem Skandal erholen kann. "Gerade in den USA gibt es immer wieder große Skandale. Die Menschen sind dazu bereit, den Konzernen irgendwann wieder ihr Vertrauen zu schenken." Dies werde aber einige Jahre dauern und bedürfe unbedingt personeller Konsequenzen. Auch müsse sich VW immer wieder öffentlich entschuldigen.

Für den Automarkt in Deutschland sieht der Wirtschaftsethiker keine dramatischen Konsequenzen. "Ich möchte zwar nicht ausschließen, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Ich glaube aber nicht, dass wichtige Absatzmärkte wie China, Indien und Brasilien einbrechen werden. Umweltrelevanz wird nicht überall gleich großgeschrieben."