Genf (epd)An der Bedeutung der UN-Nachhaltigkeitsziele hegt Thomas Gass, für politische Koordination zuständiger Untergeneralsekretär der UN, keine Zweifel. "Was da am kommenden Wochenende in New York beschlossen wird, gehört zu den wichtigsten Dokumenten, die die Welt jemals verfasst hat." 17 Sustainable Development Goals (SDGs) und 169 Unterziele sind in der "Agenda für nachhaltige Entwicklung" aufgelistet. Bis 2030 sollen etwa extreme Armut abgeschafft, der Klimawandel gebremst und Konsumgewohnheiten verändert worden sein. Ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen Regierungen und Volk sei das, frohlockt Gass.
Vorgaben mit Leben füllen
Doch es gibt auch skeptische Stimmen. "Die größte Herausforderung kommt eigentlich erst", warnt Marie-Luise Abshagen vom Forum Umwelt und Entwicklung, dem Dachverband deutscher Umwelt- und Entwicklungsverbände. "Die Ziele sind formuliert, aber jetzt müssen ambitionierte Umsetzungspläne geschaffen werden - wenn da geschlampt wird, war die Arbeit der letzten Jahre umsonst." Die Bremser stehen schon bereit. Die SDGs wurden - anders als frühere Agenden - in einem langen Prozess mit breiter Beteiligung ganz unterschiedlicher Gruppen erarbeitet. Regierungen, denen die Ergebnisse zu fortschrittlich sind, wollen deshalb die Umsetzung behindern.
Wie schwierig es wird, die Vorgaben mit Leben zu füllen, wissen auch die, die es gut meinen mit den Nachhaltigkeitszielen. Die extreme Armut abzuschaffen habe selbst China mit jahrelang fast zweistelligen Wachstumsraten nicht geschafft, rechnet Mukhisa Kitui vor, Chef der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Alleine in Entwicklungsländern müssten jährlich zwischen 3,3 und 4,5 Billionen US-Dollar investiert werden, um das Ziel zu erreichen. "Ich glaube, es ist eine gewaltige Aufgabe, für die wir Dinge vollkommen anders machen müssen als bisher - ob wir das schaffen, liegt nicht in meiner Hand."
Nicht nur das Geld ist knapp, auch die Ressourcen. Eine Studie, die das Potsdamer Nachhaltigkeitsinstitut IASS erstellt hat, kommt zu dem Schluss, dass die Flächen weltweit gar nicht ausreichen würden, um die UN-Nachhaltigkeitsziele zu Armut, Energie- und Ernährungssicherheit umzusetzen. "Das geht nicht auf", sagt IASS-Gründungsdirektor Klaus Töpfer. "Länder werden bei der Umsetzung Prioritäten setzen müssen."
Messbare Indikatoren gefordert
Umwelt- und Menschenrechtsziele in der neuen Agenda sind zudem oft schwammiger formuliert als die Entwicklungsziele - auch deshalb, weil in Entwicklungsfragen auf die konkret messbaren Millenniumsziele aufgebaut werden konnte, die 2000 von den UN verabschiedet wurden. Daniel Mittler, politischer Direktor von Greenpeace International, bedauert etwa, dass das SDG 7 nur einen 'substanziellen Anstieg erneuerbarer Energie bis 2030' vorsieht. "Entscheidend ist doch, dass wir eine zu 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung für alle erreichen und so den Klimawandel noch rechtzeitig bremsen können."
Für den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Ra'ad al-Hussein, hängt der Erfolg der SDGs maßgeblich davon ab, ob bei ihrer Umsetzung Menschenrechte berücksichtigt werden. "Die Rechte gerade der Schwächsten und Verletzbarsten müssen auf dem Weg nach 2030 eingehalten werden." Auch dafür fordert er messbare Indikatoren und verlässliche, erprobte Verfahren. Al-Hussein schlägt die universelle Menschenrechtsprüfung vor, die der UN-Menschenrechtsrat seit Jahren vornimmt.
Jeder Staat soll seine eigenen Umsetzungsstrategien beschließen. "Daran müssen in jedem Land die Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt sein", fordert UN-Mann Thomas Gass. "Fortschritt ist auch in der Vergangenheit nur erreicht worden, wenn Bevölkerungen Druck auf ihre Regierungen ausgeübt haben." Das will Marie-Luise Abshagen vom Forum Umwelt und Entwicklung gerne tun - und zwar ab sofort. "Wir müssen die SDGs in alle politischen Prozesse einbringen, und dabei gilt es, keine Zeit zu verlieren."