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Eine Kellnerini in Halle/Saale. Am deutlichsten sind die Lohnsteigerungen bisher im Osten Deutschlands und bei Frauen ausgefallen (Archivbild).
Nahles und Gewerkschaften ziehen positive Bilanz des Mindestlohns
Arbeitgeber warnen weiter vor Stellenverlusten
Gut acht Monate hat Deutschland jetzt einen Mindestlohn. Er funktioniert, sagt Arbeitsministerin Nahles und fordert die Gewerkschaften auf «dranzubleiben», damit Tricks die Ausnahme bleiben. Am deutlichsten wirkt sich die Untergrenze im Osten aus.

Berlin (epd)Gut acht Monate nach der Einführung des Mindestlohns haben der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eine überwiegend positive Bilanz gezogen, während die Arbeitgeber weiterhin von negativen Folgen für den Arbeitsmarkt ausgehen.

Lohnuntergrenze sorgt für Gerechtigkeit

Nahles sagte bei einer DGB-Konferenz zum Mindestlohn am Dienstag in Berlin, "Wirtschaft und Arbeitsmarkt schultern den Mindestlohn ohne Mühe". Die Arbeitslosigkeit sei nicht gestiegen, sondern gesunken. Die Löhne von ungelernten Arbeitskräften seien um vier Prozent gestiegen, die von geringfügig Beschäftigten um fünf Prozent. Die Lohnuntergrenze sorge für mehr Gerechtigkeit, sagte Nahles. Am deutlichsten seien die Lohnsteigerungen bisher im Osten Deutschlands und bei Frauen ausgefallen.

Die SPD-Politikerin wies Forderungen aus der Wirtschaft und der Union zurück, die Mindestlohn-Kontrollen einzuschränken. Zugleich verteidigte sie, dass die Aufzeichnungspflichten im Sommer vereinfacht worden waren. Die Gewerkschaften hatten kritisiert, dass die Dokumentation der Arbeitszeit in neun schwarzarbeitsanfälligen Branchen nicht mehr generell bis zu einer Schwelle von 2.958 Euro erfolgen muss, sondern in der Regel nur noch bis zu einem Lohn von 2.000 Euro. Nahles sagte, das könne sie vertreten, ebenso wie die Lockerungen für mitarbeitende Familienangehörige. Das Mindestlohngesetz selbst habe sie "nicht angerührt".

Sie rief dazu auf "dranzubleiben". Die untere Lohngrenze stabilisiere das gesamte Lohngefüge und schütze insbesondere schwache Gruppen wie etwa die Flüchtlinge vor Lohndumping. Dafür sei das Gesetz "gerade rechtzeitig" in Kraft getreten, sagte sie.

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell zufolge belegen Zahlen der Bundesbank, dass es bei An- und Ungelernten im Osten Deutschlands Lohnsteigerungen bis zu 9,3 Prozent gegeben habe, das sei doppelt bis dreifach so viel wie in höheren Gehaltsgruppen. Positiv bewertete Körzell, das die Zahl der Aufstocker, die ihren Niedriglohn mit Hartz-IV-Leistungen aufbessern lassen müssen, um 60.000 gesunken ist.

Der Mindestlohn koste auch keine Jobs, sagte Körzell. Im Frühjahr seien im Handel und Gastgewerbe mehr Beschäftigte gemeldet gewesen als im Jahr zuvor. Nach den derzeitigen Zahlen sind zugleich die Löhne nach der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro zu Beginn dieses Jahres in Westdeutschland um 0,25 und im Osten um 1,75 Prozent gestiegen. Die Preise bei Friseuren oder in Gaststätten sind Körzell zufolge indes nur moderat gestiegen.

Arbeitszeiten genau dokumentieren

Probleme sehen die Gewerkschaften indes weiter durch Tricks und Umgehungstrategien. Viele Minjobber arbeiteten mehr Stunden als in ihren Verträgen stehen, es werde Trinkgeld angerechnet oder ein Teil des Lohns in Gutscheinen bezahlt. Körzell ermutigte die Beschäftigten, ihre Arbeitszeiten genau zu dokumentieren und ihren Lohn einzuklagen. Dies sei bis zu drei Jahre im Nachhinein möglich.

Eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt auf der Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit und des Statistischen Bundesamts zu dem Ergebnis, dass besonders in Niedriglohnbranchen eine halbe Million neuer sozialversicherungspflichtiger Jobs entstanden ist. Zugleich sank die Zahl der Minijobs bis April um rund 200.000. Ob beide Trends zusammenhängen, ist auf Basis der vorhandenen Daten noch nicht zu klären.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer geht von einem Verlust von 120.000 Minijobs aus. Er erklärte, es lasse sich nicht belegen, dass sie in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt worden seien. Vielmehr sei zu befürchten, dass zahlreiche Arbeitsplätze verloren gegangen seien. Er kritisierte erneut die Aufzeichnungspflichten. Es wäre einfacher, sie bei einem Stundenlohn von zehn Euro enden zu lassen, sagte er.