Kehlmann-Romans «Ich und Kaminski»
Frankfurt a.M. (epd)Dass Wolfgang Becker mal wieder Regie führt, ist vermutlich die größte von den vielen Überraschungen, die dieser Film parat hält. Seltsam abrupt ist der Regisseur nach "Good Bye, Lenin!" (2003) von der Bildfläche verschwunden, eine Hoffnung des deutschen Kinos, der etwas rätselhaft Unerfülltes anhaftete. Zwei starke Jugenddramen ("Schmetterlinge", "Kinderspiele"), ein halb geglückter Ensemblefilm ("Das Leben ist eine Baustelle"), der einmalige Erfolg von "Lenin" und dann, von ein paar kurzen Fingerübungen abgesehen: zwölf Jahre lang nichts. Doch nun die Rückkehr: frisch, dynamisch, fantasievoll, kompetent. Als sei er nie weg gewesen.
Die zweite Überraschung: dass von den bislang verfilmten Romanen Daniel Kehlmanns nicht die üppige "Vermessung der Welt" die beste Kinovorlage ist, erst recht nicht der verkopfte "Ruhm", sondern der kleinere, introspektive "Ich und Kaminski". Solche Vergleiche hinken meist, doch es ist schon erstaunlich, wie hüftsteif die früheren Kehlmann-Adaptionen trotz ihres scheinbar filmischeren Ausgangsmaterials daherkommen, während Becker aus dem handlungsarmen "Kaminski" - eigentlich ein literarisches Roadmovie - ein sinnliches, temporeiches Vergnügen macht.
Lustvoll-künstlerischer Erzählton
Das beginnt schon mit dem Prolog, der die Lebensgeschichte des fiktiven Malers Manuel Kaminski (Jesper Christensen) in eine Abfolge historischer Dokumente hineinimaginiert. Der "blinde Maler", als der er in den Swinging Sixties groß rauskam, war überall dabei, wo Kunst- und Popgeschichte geschrieben wurde, von Picasso über die Beatles bis zum unvermeidlichen Andy Warhol. Die flotte Montage kommt im besten Sinne großspurig daher und etabliert einen lustvoll-künstlerischen Erzählton, den der Film durchgehend beibehalten wird. Immer wieder verwandeln sich Filmbilder in Gemälde und umgekehrt, werden Fotos zum Leben erweckt, fließen zeitliche und stilistische Ebenen ineinander. "Ich und Kaminski" handelt nicht nur von der Kunst und vom Kunstbetrieb, er findet auch einen kongenialen Weg, um sein Thema in Kinobilder umzusetzen.
Die Geschichte spielt kurz vor der Jahrtausendwende, zu einer Zeit also, als Smartphones Zukunftsmusik und Karrieren im Kulturjournalismus noch ein realistisches Ziel waren. Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) träumt von so einer Laufbahn, und als Mittel zum Zweck sieht er Kaminski, inzwischen alt und fast vergessen. Eine Biografie will Zöllner schreiben, und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Er sucht den tattrigen Alten an seinem Ruhesitz in den Alpen auf, nicht ohne vorher mit diversen Zeitzeugen und Weggefährten gesprochen und eine pikante Information herausbekommen zu haben.
Dieser Zöllner, schnoddrig, selbstverliebt, rücksichtslos, ist eine gefährliche Mischung aus Hybris und Selbstüberschätzung, aus Ehrgeiz und Faulheit - ein echtes Ekelpaket, von erstaunlicher Dummdreistigkeit. Dass Daniel Brühl (sonst oft der liebenswerte Mustersohn) dieses Scheusal mit so viel Verve und Überzeugungskraft spielt, ist eine weitere Überraschung und zugleich ein Glücksfall für den Schauspieler und für uns, die wir ihm jeden, aber auch jeden der Fettnäpfe gönnen, in die er im Lauf der Reise reihenweise tappt.
Ein neues Ding
Mit "Ich und Kaminski" begeht Wolfgang Becker nicht den Fehler, an den Lenin-Erfolg anzuknüpfen. Er macht konsequent ein neues Ding, das sich kaum kategorisieren lässt in seiner Mischung aus intellektueller Schärfe, verspielter Komik und surrealer Fabulierkunst. Er macht deutsches Kino, das sich in seiner erzählerischen Ökonomie mit Hollywood messen kann und in seinem unermüdlichen Erfindungsreichtum mit den Filmen von Jean-Pierre Jeunet. Wenn das keine Überraschung ist.