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Wartende Flüchtlinge: Ungarn hat mit seiner Grenzschließung die Balkan-Route dichtgemacht.
«Warum hilft uns Europa nicht?»
In Serbien gestrandete Flüchtlinge
sind verzweifelt - (mit Bild)
Von Christiane Ried (epd)
Ungarn hat mit seiner Grenzschließung die Balkan-Route dichtgemacht. Am Belgrader Busbahnhof herrscht Entsetzen. Aber die Flüchtlinge dort zeigen sich zugleich entschlossen, nun einen anderen Weg in die EU zu suchen.

Budapest, Belgrad (epd)Der Busbahnhof in Belgrad ist am späten Montagabend wie leergefegt. Von den vielen Flüchtlingen, die hier in den vergangenen Wochen den kleinen Park bevölkert und auf ihre Weiterreise nach Ungarn gewartet hatten, sind nur noch wenige übrig. Zelte, Dixi-Klos und Duschen stehen noch. Ungarn hat am Montagabend - schneller als angekündigt - das letzte Stück offene Grenze zu Serbien am Bahnübergang Röszke geschlossen. Seit Dienstag gilt ein illegaler Grenzübertritt als Straftat. Damit ist die sogenannte Balkan-Route über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn dicht.

Die Flüchtlinge, die vor allem aus Syrien und Afghanistan kommen, hatten sich dementsprechend beeilt, um noch irgendwie nach Ungarn und damit in die EU zu gelangen. Vier junge Syrer haben es nicht geschafft: Sie sitzen um kurz nach Mitternacht erschöpft auf einer Parkbank in Belgrad vor dem Busbahnhof und überlegen, wie es weitergeht. Ihr Ziel ist - wie bei so vielen - Deutschland. Das wollen sie nun auf einer anderen Route erreichen - wohl über Kroatien, Slowenien und Österreich, erzählen sie.

Der Stress der vergangenen Tage ist ihnen anzusehen. "Wir haben uns beeilt, wir wollten unbedingt nach Röszke", erzählt Hedayath. Doch in Mazedonien habe er seinen jüngeren Bruder aus den Augen verloren. Ohne ihn habe er die ungarisch-serbische Grenze nicht überqueren wollen. Er warte jetzt auf seinen Bruder. "Ich habe meiner Mutter versprochen, dass wir zusammenbleiben und ich auf ihn aufpasse", erzählt er bedrückt. Seine Mutter ist in Aleppo zurückgeblieben, sie wisse zum Glück noch nichts von der Trennung.

Dass Ungarn nun die Grenzen endgültig geschlossen und unter anderem Deutschland wieder Grenzkontrollen eingeführt hat - irgendwie könne er es schon verstehen, sagt Hedayath. Es seien ja so viele auf der Flucht. "Aber es geht um unser Leben. Da verstehe ich Europa nicht." Auf der Überfahrt zwischen der Türkei und Griechenland sei sein Boot mit Dutzenden von Menschen fast untergegangen. "Ich habe gedacht: Jetzt ist es vorbei", erzählt Hedayath. "Warum hilft uns Europa nicht?"

Ein ähnliches Bild wie in Belgrad bot sich am Montag nahe der serbisch-mazedonischen Grenze bei Presevo. In dem Flüchtlingslager, wo in den vergangenen Tagen jeweils mehrere tausend Flüchtlinge registriert wurden, sind nur noch wenige hundert übrig. Auch hier hatten es die Menschen eilig, noch schnell Röszke zu erreichen. Die wenigen, die jetzt noch nach Serbien kommen, wissen oftmals noch nichts von der geschlossenen ungarisch-serbischen Grenze. Sie reagieren dementsprechend geschockt.

Marija Vranesevic, Programm-Manager von Philanthropy, einer Wohltätigkeitsstiftung der serbisch-orthodoxen Kirche, berichtet, dass die Flüchtlingszahlen in den Tagen zuvor wegen der angekündigten Grenzschließung in Ungarn deutlich gesunken seien. In den vergangenen Wochen seien täglich zwischen 3.000 und 9.000 Flüchtlinge nach Serbien gekommen. Am Montag seien es gerade mal 1.500 gewesen. Wie es nun weitergehe, ob es einen Rückstau an Flüchtlingen gebe - das könne niemand genau sagen.

Der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, mahnte angesichts der europäischen Blockadehaltung bei einem Besuch in Presevo am Montag zur Umsicht. Europa müsse sich zusammensetzen und versuchen beeinanderzubleiben. Wenn die EU eine christliche Grundorientierung habe, müsse sie sich um die Schwachen kümmern. Zäune oder geschlossene Grenzen jedenfalls hielten niemanden von einer Flucht ab. Dann suchten sich die Menschen eben andere - unter Umständen gefährlichere - Wege.

Er plädiere daher dafür, die Flüchtlinge fair auf alle EU-Länder zu verteilen, sagte Bedford-Strohm. Es brauche klare Regeln, die auch umzusetzen seien. Das Dublin-System jedenfalls funktioniere schon lange nicht mehr. Das wolle er auch am Dienstag in Brüssel betonen, wo er EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu einem Gespräch trifft. Die EU-Innenminister haben einer solchen generellen Verteilung per Quote am Montag zunächst eine Absage erteilt: Geeinigt hat man sich laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf die Verteilung von lediglich 160.000 Flüchtlingen. Allein Deutschland erwartet für dieses Jahr rund 800.000 neue Asylbewerber. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) spricht schon von einer Million.

epd lbm kfr