Erwachsene bremsen und Kindern das Spiel zurückgeben
Frankfurt a.M. (epd)Ein Wort gibt das andere. Es geht um eine Entscheidung des Schiedsrichters. Sie soll falsch sein. Die Zuschauer regen sich auf, sie schimpfen, sie toben. Plötzlich fallen Beleidigungen. Manchmal eskaliert die Situation sogar: Erwachsene stürmen auf das Spielfeld, es kommt zu Gewalt. Auf deutschen Fußballplätzen sind solche Situationen Alltag. Aber nicht in den prächtigen Arenen bei Spielen der Profis - sondern auf staubigen Hartplätzen und holprigen Rasen, wenn Kinder dem Ball nachjagen.
Mathias Lippert hat solche Momente schon öfter erlebt. Er ist Schiedsrichter-Obmann im Kreis Frankfurt. Regelmäßig begleitet er junge Referees, die bei den Partien der Kleinen erste Erfahrungen sammeln. Viele Eltern hielten sich an der Seitenlinie nicht zurück, hat Lippert erlebt: "Sie rufen rein, sie kritisieren", erzählt er. "Es kommt häufig vor, dass Eltern den Schiedsrichter beleidigen. Manche rennen sogar auf den Platz."
Weniger Respekt
Seit 27 Jahren ist Christoph Schröder als Schiedsrichter auf Plätzen in Hessen unterwegs. "Das Gewinnen ist sehr viel wichtiger geworden", hat er beobachtet. "Die Eltern geben den Leistungsdruck an ihre Kinder weiter." Direkt angegriffen worden sei er zwar noch nicht, aber der Umgang sei ruppiger geworden: "Die Wortwahl hat sich verändert. Der Respekt vor dem Schiedsrichter hat abgenommen", berichtet Schröder, der als Journalist arbeitet und ein Buch über seine Erlebnisse als Amateur-Schiedsrichter geschrieben hat ("Ich pfeife").
An der Deutschen Sporthochschule Köln untersucht die Sportpsychologin Babett Lobinger das Verhalten von Eltern, wenn die Sprösslinge Sport treiben. Sie bricht eine Lanze für die Eltern: "Es gibt ja das Bild von den Helikoptereltern, die permanent um ihr Kind kreisen. Das ist ein Vorurteil, so schlimm sind die meisten nicht", sagt sie. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass die Wettkämpfe ihrer Kinder auch Stress für die Eltern seien. Ein wichtiger Stressfaktor: Die Unsicherheit, wie sie auf mögliche Niederlagen des Kindes reagieren sollen. Dass Eltern am Spielfeldrand gewalttätig würden, komme nur sehr selten vor, berichtet Lobinger.
Aber es passiert immer wieder. Ralf Klohr überlegte jedenfalls vor zehn Jahren, ob er überhaupt noch weiter mitmachen sollte. Er war damals Jugendleiter in Herzogenrath bei Aachen. Eines Tages hörte er von einer Schlägerei auf dem Fußballplatz im Nachbarort nach einer Entscheidung des Schiedsrichters. "Das war ein Schock", sagt er. Er habe schon oft Situationen erlebt, in denen es kurz davor war: "Das ist ein Pulverfass. Es ist total überzogen, was im Kinderfußball regelmäßig passiert."
"Einfach spielen lassen"
In Gesprächen mit Freunden und Sportkollegen dachte er über die Ursachen nach. Seine Erkenntnis: "Die Kinder sind nicht das Problem, sondern die Einflüsse rund um den Platz."
Er entwickelte die Fair-Play-Liga. Der Ansatz: "Die Erwachsenen müssen die Kinder einfach spielen lassen und so wenig wie möglich eingreifen", beschreibt Klohr. Drei Regeln gibt es. Die Kinder spielen ohne Schiedsrichter und entscheiden selbst. Die Trainer halten sich zurück und stehen direkt nebeneinander. Und die Zuschauer müssen ungefähr 15 Meter vom Spielfeld entfernt stehen.
Zunächst sei er mit diesen Neuerungen auf Ablehnung gestoßen, berichtet Klohr. Aber er blieb hartnäckig und warb für sein Konzept. Vor vier Jahren wurde der Deutsche Fußball-Bund darauf aufmerksam. Ab der kommenden Saison 2015/2016 gelten die Regeln bei den F-Junioren, das sind Kinder zwischen sieben und neun Jahren. Bundesweit muss in jedem Kreis in mindestens einer Staffel nach den Regeln der Fair-Play-Liga gespielt werden.
Fairplay lernen
Sportpsychologin Lobinger hat die Umsetzung der neuen Regeln wissenschaftlich erforscht. Die Erfahrungen seien positiv: "Mit der Fair-Play-Liga wird den Kindern das Spiel zurückgegeben." Dass es keinen Schiedsrichter gebe, sei eher ein Problem für die Eltern - die Kinder könnten das Spiel gut alleine regeln.
Auch Frank Bettin findet den Ansatz gut. Er ist Mitglied im Jugendausschuss des Fußballverbands Brandenburg. In der vergangenen Spielzeit probierte der Verband die neuen Vorschriften aus. "Das hat gut geklappt", berichtet Bettin. Auf das Verhalten der Eltern habe sich der Abstand zu den Kindern auf dem Spielfeld positiv ausgewirkt. Und noch etwas verbindet Bettin mit der Fair-Play-Liga: "Wir hoffen, dass die Kinder den Fairplay-Gedanken lernen." Der sei schließlich auch dann noch wichtig, wenn die Kinder schon längst erwachsen seien.