epd-bild / Andrea Stevens
Auch wegen der unerträgliche Bedingungen in Flüchtlingscamps haben Bilder von Flüchtlingsbegrüßungen an deutschen Bahnhöfen einen Sogeffekt (Camp am syrisch-türkischen Grenzübergang Bab Al-Salam, Archivbild).
Experte: Willkommensbilder haben Sogwirkung auf Flüchtlinge

Bilder von Flüchtlingsbegrüßungen an deutschen Bahnhöfen haben nach Einschätzung des Nahost-Experten Thomas von der Osten-Sacken einen Sogeffekt.
11.09.2015
epd
Elisa Makowski (epd-Gespräch)

Erbil, Frankfurt a.M. (epd)"Da sitzen Menschen seit drei Jahren unterversorgt und hungrig in einem Flüchtlingslager", sagte der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Wadi dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Daher ist es nur verständlich, dass sie sagen: Dann gehen wir nach Deutschland, dort brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, dass wir im Winter erfrieren." Die Geflohenen, die beispielsweise in Nachbarländern Syriens ausharrten, müssten besser versorgt werden.

Unerträgliche Situation

Aufnahmen von Willkommensschildern und Luftballons verstärkten den Drang, den menschenunwürdigen Bedingungen zu entkommen. "Ich möchte nicht zynisch klingen, aber die Versorgung hier in der Region in einem Flüchtlingslager ist viel billiger als die in einem vollkommen überfüllten Erstaufnahmelager irgendwo in Deutschland", sagte von der Osten-Sacken im nordirakischen Sulaimaniyya telefonisch dem epd.

Ungefähr 90 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien seien bisher in Flüchtlingscamps in Jordanien, dem Libanon, dem Norden Iraks oder der Türkei untergekommen. "Doch dort ist es schon seit mindestens drei Jahren unerträglich." Da kontinuierlich Gelder für die internationale Flüchtlingshilfe gestrichen würden, sei es für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR unmöglich, die Menschen vor Ort zu versorgen, sagte von der Osten-Sacken.

Weil nicht einmal mehr die Grundbedürfnisse der Geflohenen erfüllt werden könnten, machten sich viele Leute auf den Weg nach Europa, die eigentlich in der Region bleiben wollten. "Die Menschen merken: Europa hat keine politische Lösung für die Beendigung des Syrien-Krieges und unter den Bedingungen wollen sie nicht bleiben."

EU-Politik unterschätzt Ausmaß der Krise

Nach UN-Angaben fallen mehr als vier Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens immer tiefer in die Armut. Ein Grund dafür sei, dass die UN-Organisationen ihre Hilfen wegen fehlender Spenden zusammenstreichen müssten. Das Welternährungsprogramm hat demnach pro Tag und Flüchtling weniger als 50 Cent für Lebensmittel zur Verfügung.

Die europäische Politik habe das Ausmaß der Krise im Nahen Osten jahrelang unterschätzt, betonte der Experte. Man habe gedacht, dass der Syrien-Krieg "irgendwie in der Region gelöst werden könne". Europa wache erst jetzt auf, seit die Flüchtlinge immer weiter nach Norden drängten. Der "train of hope", der Flüchtlingszug von der ungarischen Hauptstadt Budapest nach Wien am vergangenen Wochenende, sei auch von syrischen Oppositionellen organisiert worden. "Damit signalisieren die Syrer den Europäern: Wenn ihr nicht kommt und uns helft gegen Präsident Baschar al-Assad, dann kommen wir."