Meßkirch (epd)Dass Jürgen Mädler im Wald arbeitet, sieht man ihm an: An den Fingern hat er Schwielen, an der Kleidung Dreck, hinter der Stimme Druck. Seit zwei Jahren kommt er jeden Tag in seinen kleinen Verschlag und hackt Holz. 300 bis 500 Schindeln schafft der Mann mit dem roten Vollbart dann immer, das entspricht ungefähr der Menge eines ausgewachsenen Baumes.
Die Schindeln werden einmal das Dach einer kleinen Holzkirche bilden, deren Rohbau wenige Hundert Meter entfernt steht. «20.000 brauchen wir dafür. Mehr als 11.000 sind schon fertig.» Früher war Jürgen Mädler einmal Lkw-Fahrer, aber das ist vorbei. «Bis zur Rente mache ich das auf jeden Fall noch. Und wenn es geht, auch länger». Mädler ist jetzt 56.
80 Jahre Bauzeit
Menschen wie Jürgen Mädler gibt es einige in Meßkirch. Genauer gesagt: In einem Waldstück in der Nähe der schwäbischen Kleinstadt. Rund 40 Menschen drechseln, schmieden und flechten hier seit 2013 jeden Tag - und zwar in etwa so, wie es die Menschen vor 1.200 Jahren gemacht haben.
Rund 80 Jahre soll das so gehen, vielleicht auch ein bisschen länger oder kürzer - am Ende soll der «Campus Galli» stehen, eine Stadt, erbaut nach den Vorgaben des sogenannten St. Galler Klosterplans, eines Bauplans aus dem neunten Jahrhundert. Es ist ein Jahrhundertprojekt, im wahrsten Sinne des Wortes.
Initiator Bert Geurten hatte bei der Idee für «Campus Galli» auch das französische Bauprojekt Guédelon im Kopf, wie er bei der Eröffnung vor zwei Jahren erzählte. Seit 1997 bauen Menschen in Zentralfrankreich eine Burg nach Plänen und mit Baumethoden aus dem 13. Jahrhundert.
Viele Hypothesen
Wenn die Klosterstadt bei Meßkirch einmal fertig ist, dann soll sie aus 52 Gebäuden bestehen. Ställe oder Kornspeicher sind darunter, eine Schule und ein mittelalterliches Krankenhaus, ebenso Bäckereien, Brauereien und eine 70 Meter lange Klosterkirche - so, wie es der St. Galler Klosterplan verlangt.
Viel ist nicht bekannt über die älteste überlieferte Architekturzeichnung des Abendlandes, die Mönche irgendwann in der Zeit zwischen 819 und 837 im Kloster Reichenau auf der gleichnamigen Bodenseeinsel geplant haben. Wie viele es waren, wie sie hießen, was mit dem Plan geschehen sollte, darüber gibt es viele Hypothesen, aber keine gesicherten Erkenntnisse.
Man weiß nur, dass das Dokument für den St. Galler Abt Gozbert erstellt wurde, der in dieser Zeit auch eine Klosterkirche bauen ließ - aber nicht so, wie sie der Plan vorgibt. Erhalten blieb der Plan nur wegen seiner Rückseite: Dort hatte rund 400 Jahre später ein Mönch die Lebensgeschichte des Heiligen Martin aufgeschrieben und das Dokument archiviert.
Ziegen roden Unterholz
Viel ist im Wald von Meßkirch vom «Campus Galli» noch nicht zu sehen. Derzeit entsteht der Friedhof, der zugleich ein Obstgarten sein wird, eine Scheune - und die kleine Holzkirche. «Dabei handelt es sich allerdings um ein Provisorium. Da wir bauen wie im Mittelalter, errichten wir zunächst eine Kirche, die die Menschen während der Bauzeit genutzt hätten», sagt Projekt-Geschäftsführer Hannes Napierala.
Es geht hier langsamer als auf einer gewöhnlichen Baustelle. Für die Rodung des Unterholzes sind keine Maschinen zuständig, sondern Ziegen. Anstelle von Traktoren transportieren Ochsen die Baumstämme - und auf das Knattern einer Motorsäge kann man lange warten. «Wir haben hier immer wieder Menschen, die jeden Baumstumpf darauf untersuchen, wie er denn gefällt worden ist. Ich habe da ein reines Gewissen», sagt Napierala.
Anderswo auf der Baustelle liegen die Dinge aber nicht so einfach. Ein Stück reines Mittelalter mitten in der Moderne, das ist nicht möglich - schon aus baurechtlichen Gründen. So kommt es, dass viele Arbeiter weiße Tuniken tragen, braune Gamaschen an den Waden - und knallblaue Sicherheitsschuhe. Schutzbrillen sind bei manchen Berufen Pflicht, ebenso das Kunststoffseil am ansonsten originalgetreuen Flaschenzug.
Besucherzahlen unter Erwartungen
Aber Kompromisse erfordert nicht nur das Baurecht, sondern auch der Tourismus: Kritiker werfen den Initiatoren beispielsweise vor, die Gebäude in der Klosterstadt viel zu weitläufig zu bauen - und nicht um ein Zentrum konzentriert, wie es im Mittelalter üblich gewesen sei. «Das Problem dann wäre, dass die Leute kommen, kurz denken: 'Aha, Mittelalter' - und dann schon alles gesehen haben», sagt Hannes Napierala.
Das soll schon deshalb nicht passieren, weil die Besucher den Bau des «Campus Galli» mit ihrem Eintritt selbst finanzieren sollen. Bis 2018 muss sich das Projekt von alleine tragen, lautet der Wunsch der Stadt Meßkirch, Hauptsponsor der Mittelalter-Baustelle.
In den ersten beiden Jahren blieben die Besucherzahlen aber unter den Erwartungen - weil auf der Baustelle zu wenig passierte. Für Hannes Napierala ist der langgezogene Start aber inzwischen vorbei: «Wir haben uns für dieses Jahr vorgenommen, 45.000 Besucher zu haben. Nach den neuesten Zahlen werden wir das übertreffen», sagt er.