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«Das Gebot der Stunde ist es, zu handeln», sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Straßburger Europaparlament.
Juncker fordert europäische Lösungen für die Flüchtlingskrise
EU-Kommissionspräsident will Verteilschlüssel und schnellere
Asylverfahren
«Es fehlt an Europa, und es fehlt an Union»: Mit eindringlichen Worten hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Zusammenstehen Europas in der Flüchtlingskrise verlangt. Dafür hat er einen ganzen Katalog von Vorschlägen erarbeitet.

Straßburg (epd)Flüchtlings-Quoten, schnellere Asylverfahren, mehr Geld für Herkunftsländer: Die EU-Kommission hat umfassende Pläne zur Eindämmung der Flüchtlingskrise vorgestellt. Im Straßburger Europaparlament nahm der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch Stellung zu den gegenwärtigen Herausforderungen. «Keine Lyrik, keine Rhetorik. Das Gebot der Stunde ist es, zu handeln», sagte Juncker. «Wir sprechen nicht von Zahlen, sondern von Menschen.»

Die EU-Kommission unternimmt trotz des Widerstandes einiger Länder einen neuen Anlauf, auf europäischer Ebene die Verteilung von Flüchtlingen nach einem festen und verbindlichen Schlüssel zu etablieren. Bereits am kommenden Montag will Juncker mit den Innenministern der 28 Staaten Pläne debattieren, 120.000 Menschen auf die Staaten zu verteilen. Deutschland soll aus dem Kontingent rund 31.400 Menschen aufnehmen. Die Bundesregierung gehört zu den maßgeblichen Befürwortern eines europaweiten Verteilschlüssels.

Kein einmaliger Schritt

Da seit Mai bereits ein Konzept über die Verteilung von 40.000 Menschen vorliege, müsse nun die Zahl von 160.000 Aufnahmeplätzen erreicht werden, machte Juncker klar. Sein Vorschlag sieht vor, dass sich Regierungen aus «triftigen, objektiven Gründen», zum Beispiel nach einer Naturkatastrophe, vorübergehend von der Ansiedlungspflicht freikaufen können. Von der Verteilung profitieren sollen die Außengrenzländer Ungarn, Griechenland und Italien, wo besonders viele Flüchtlinge unter harten Bedingungen ausharren. Die Umverteilung soll nach dem Willen Junckers kein einmaliger Schritt bleiben.

Umgesiedelt werden sollen allerdings nicht alle Ankömmlinge, sondern Menschen aus Syrien, Eritrea und dem Irak, deren Asylgesuche besonders hohe Erfolgsaussichten haben. Um die Menschen zu registrieren und ihre Nationalität festzustellen, soll in den Außengrenzländern die Einrichtung spezieller Aufnahmezentren («Hotspots») vorangetrieben werden. Solche Zentren existieren derzeit in den sizilianischen Hafenorten Pozzallo, Porto Empedocle und Trapani sowie auf der Insel Lampedusa. Auch in der griechischen Hafenstadt Piräus ist ein Hotspot im Aufbau. Wer nicht aus einem der drei besonders kritischen Länder stammt, soll direkt im Außengrenzland ein Asylverfahren durchlaufen.

Ein weiterer Vorschlag Junckers betrifft das Konzept «sicherer Herkunftsstaaten», das derzeit unter anderem in Deutschland heftig diskutiert wird. Asylanträge von Bürgern dieser Länder können im Schnellverfahren bearbeitet werden, so dass Personen ohne Schutzanspruch schneller abgeschoben werden können. Die EU-Kommission schlägt vor, fürs erste die Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Serbien und Türkei als «sicher» auszuweisen. All diese Länder haben eine EU-Beitrittsperspektive oder sind sogar schon formell Beitrittskandidat.

Perspektiven in Heimatländern

Asylanträge aus diesen Ländern würden auch in Zukunft Fall für Fall geprüft, unterstrich Juncker. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zeigte sich am Mittwoch dennoch empört über das Vorhaben. «In der Türkei lebt de facto ein Bürgerkrieg wieder auf», warnte die Organisation in Frankfurt am Main. Die Vorschläge bedrohten den «Kern des Flüchtlingsrechts, die individuelle Einzelfallprüfung im Asylverfahren». Pro Asyl kritisierte auch die EU-Pläne über Hotspots, da damit «die Festsetzung Tausender Flüchtlinge in den EU-Außengrenzstaaten ohne Schutzperspektive» drohe.

Indessen will die EU auch versuchen, den Menschen in ihren Heimatländern mehr Perspektiven zu verschaffen, um die irreguläre Migration ein Stück weit einzudämmen. 1,8 Milliarden Euro sollen in einen Treuhandfonds zugunsten der Stabilität in Afrika fließen. Das Geld ist für die Sahelzone, die Tschadseeregion, das Horn von Afrika und Nordafrika bestimmt. Die EU sagt außerdem diplomatisches und politisches Engagement zu, um Lösungen für die Krisen in Syrien, Irak und Libyen zu finden.

Auf der EU und ihrem Umgang mit der Flüchtlingskrise liege im Moment «weltweite Aufmerksamkeit», sagte der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) nach der Juncker-Rede. Es sei zu beobachten, dass die EU-Kommission und die großen Fraktionen des Europaparlaments auf der Suche nach Lösungen «engstens» zusammenstünden. Nun sei auch der zweite Gesetzgeber neben dem Europaparlament, die 28 nationalen Regierungen im Ministerrat, zu Gemeinschaftssinn aufgefordert. Die Betonung nationaler Interessen habe «die EU in eine Phase der Stagnation gebracht», kritisierte Schulz.