Moralische Instanz im Dschungel
Vor 50 Jahren starb Albert
Schweitzer
Albert Schweitzer tauschte eine angesehene Stelle als Straßburger Hochschullehrer mit einem Flecken Urwald am Äquator. In Lambaréné im heutigen Gabun baute er ein Krankenhaus, das ihn weltberühmt machte. Jetzt ist die Klinik in Gefahr.
04.09.2015
epd
Karsten Packeiser (epd)

Frankfurt a.M. (epd)Er gilt als Wegbereiter der Entwicklungshilfe, als Pionier der Atomwaffengegner und der Tierschutzbewegung. In Deutschland führte er einst die Rangliste der am häufigsten genannten Vorbilder an, und das «Life Magazine» ernannte ihn 1947 gar zum «großartigsten Menschen der Welt».

Auch wenn seine Rolle als «Urwalddoktor» von Lambaréné mittlerweile differenzierter gesehen wird als in der Vergangenheit, zweifelt kaum jemand am Ausnahmecharakter der Persönlichkeit von Albert Schweitzer (1875-1965). Vor 50 Jahren, am 4. September 1965, starb der Arzt, Theologe und Friedensnobelpreisträger im Alter von 90 Jahren in dem von ihm aufgebauten Tropen-Hospital in Gabun.

Lebenswerk kaum noch bekannt

Noch heute fühlen sich eine ganze Reihe von Organisationen seinem Lebenswerk verpflichtet, darunter das Frankfurter Albert-Schweitzer-Zentrum. Doch die Strahlkraft beginnt zu verblassen. «Es wird immer schwieriger, Geld für Albert Schweitzer zu bekommen», sagt Roland Wolf aus Worms, Mitglied im internationalen Stiftungsrat des Schweitzer-Hospitals in Lambaréné. In den jüngeren Generationen sei Schweitzers Lebenswerk kaum noch bekannt.

Es steht nicht gut um das Krankenhaus: Da die Regierung von Gabun ihre Subventionen um mehr als die Hälfte gekürzt habe, sei dessen Fortbestand aktuell bedroht, sagt Wolf. Bislang gebe es keine Anzeichen dafür, dass die öffentlichen Zuwendungen wieder angehoben werden könnten: «Ohne Mithilfe des Staates Gabun können wir das Spital nicht in seiner jetzigen Form weiter betreiben.»

«Wer glaubt ein Christ zu sein, nur weil er die Kirche besucht, irrt sich», soll Albert Schweitzer, Pfarrerssohn aus dem Elsass, einst gesagt haben. «Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht.» Schweitzer war sich sicher, dass sein Studium der Theologie, Philosophie und Kirchenmusik sowie seine Dozententätigkeit nicht ausreichten, um wirklich Jesus Christus nachzueifern. Er absolvierte ein zusätzliches Medizinstudium und zog mit seiner Frau Helen ins damalige Französisch-Äquatorialafrika.

Weltweites Echo

In der Region am Ogooué-Fluss fehlte bei Schweitzers Ankunft 1913 jegliche medizinische Versorgung für die Bevölkerung. Die Europäer waren mit der Ausbeutung Afrikas beschäftigt und kümmerten sich kaum um den Aufbau einer Infrastruktur in ihren Kolonien. Schweitzers Hospital war wie ein afrikanisches Dorf konzipiert, in dem Angehörige mit den Kranken zusammen lebten und sie während des Aufenthalts versorgten. Ein Ärzteteam behandelte die Patienten kostenlos. Oft wurden sie mehr als hundert Kilometer weit mit dem Kanu in die Klinik gebracht.

Die Arbeit am Äquator erschöpfte sich nicht in der Behandlung von Tropenkrankheiten und Knochenbrüchen. In Afrika entwickelte der Theologe auch sein ethisches Konzept der «Ehrfurcht vor dem Leben» weiter. Bei einer Flussfahrt sei ihm bewusstgeworden, dass alle Lebewesen genauso an ihrem Leben hingen wie er selbst. «Ethisch ist der Mensch nur, wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und des Tieres wie das des Menschen, heilig ist und er sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt», formulierte Schweitzer seine Kernidee.

Für einen Mann, der einen großen Teil seines Lebens im afrikanischen Urwald verbrachte, fand die Stimme des Arztes weltweit ein beachtliches Echo. Zeitschriften brachten auf ihrer Titelseite Fotos des Arztes, die ihn mit unverwechselbar buschigem Schnauzbart, weißem Tropenhelm und schwarzer Fliege am Hemd zeigten. Mitten im Kalten Krieg stellte er sich zum Unwillen vieler Regierungen deutlich gegen die atomare Aufrüstung und die Atombombentests der Supermächte.

Kritik am «Grand Docteur»

Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises 1953, rückwirkend für 1952, wurde der bereits hochbetagte Schweitzer endgültig zu einer Art Popstar. Während seiner Deutschland-Besuche - bei denen er gewöhnlich bei einem befreundeten Winzer in Rheinland-Pfalz unterkam - folgte die Lokalpresse dem «großen deutschen Musiker, Arzt und Missionar» ehrfürchtig auf Schritt und Tritt.

Aber spätestens in den letzten Lebensjahren des «Grand Docteur» wurden auch kritische Stimmen laut. «Die Erhabenheit seines Denkens und die Kraft und Weite seines sittlichen Empfindens sind fast, wenn nicht ganz olympisch», urteilte der US-amerikanische Publizist John Gunther bereits 1957 mit leicht spöttischem Unterton. Doch Schweitzer, so der Autor des Werks «Inside Africa» weiter, sei eben auch gelegentlich «verbohrt, diktatorisch, pedantisch auf eine eigentümlich teutonische Art» - und außerdem eitel. Von Afrika habe der Theologe im Grunde keine Ahnung, außer Lambaréné kenne er kaum etwas von dem Kontinent.

Kritiker halten Schweitzer vor, dass er die schwarze Bevölkerung Zeit seines Lebens lediglich als «arme Geschwister» gesehen habe, denen die Europäer die Zivilisation bringen müssten. Gegen die Unabhängigkeit der Staaten Afrikas von den Kolonialmächten äußerte er deutliche Vorbehalte, die Einheimischen hielt er für unfähig, ihre Länder zu verwalten. Dauerhaft schmälern konnte die Kritik das positive Bild Schweitzers in der Öffentlichkeit allerdings nicht.