Flüchtlingspolitik wird Chefsache für die deutsche Wirtschaft: Post-Chef Frank Appel fordert eine schnellere Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge. Der Präsident des Industrie- und Handelskammertags DIHK, Eric Schweitzer, will Abschiebestopps für Flüchtlinge während und zwei Jahre nach einer Ausbildung, damit sich die Investition in den Azubi für den Betrieb lohnt. Und der Boss des Chemiekonzerns Evonik, Klaus Engel, findet es fatal, abgelehnte Asylbewerber einfach abzuschieben statt zu prüfen, ob sie der deutschen Wirtschaft als Arbeitnehmer nutzen.
Nur drei Stimmen von vielen aus der Wirtschaft, die sich in der Flüchtlingsdebatte sehr einig ist: Angst vor Überforderung durch zu viele Zuwanderer hat hier niemand. "Deutschland muss das Arbeitsmarktpotenzial der vielen Asylbewerber mit Bleibeperspektiven besser nutzen", sagt Alexander Wilhelm, Arbeitsmarktexperte der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), dem größten Lobbyverband der deutschen Wirtschaft.
Chancen statt Ängste
Der fehlten Fachkräfte - in Branchen wie der Pflege und in manchen Handwerksberufenen schon heute, erst recht aber in Zukunft. "Unter den vielen Flüchtlingen sind Menschen mit Kompetenzen und Berufserfahrung, die die deutsche Wirtschaft braucht." Sie sollen schneller auf den Markt, fordern die Arbeitgeber: Flüchtlinge dürfen drei Monate nach einem bewilligten Asylantrag arbeiten - aber nur, wenn es keinen geeigneten Bewerber aus Deutschland oder einem anderen EU-Land gibt. 15 Monate gilt diese sogenannte Vorrangprüfung. "Sechs sind völlig ausreichend, um Menschen, die sowieso nicht in Deutschland bleiben dürfen, herauszufiltern", findet Wilhelm.
Für Hochqualifizierte und in Mangelberufen wurde der Vorrang bereits abgeschafft. "Ein richtiger Schritt", sagt Wilhelm. Aber eben noch nicht genug. Der Verband fordert neben einem Bleiberecht für Auszubildende vor allem die Förderung legaler Arbeitsmigration. Auch abgewiesene Asylbewerber sollen in sie wechseln können - "und zwar ohne, dass sie vorher ausreisen müssen." Voraussetzung: Sie sind qualifiziert.
"Dieser Teil der Flüchtlingsdebatte ist sehr stark von einem Nützlichkeitsdenken geprägt", kritisiert Migrationsforscherin Sabine Hess von der Universität Göttingen. Nützliche Fachkräfte sollen die Wirtschaft stärken, die Überalterung der Gesellschaft abfedern: "Es sind aber Menschen, die hier ankommen."
Dennoch sei diese Sicht in der Debatte nützlich, findet Hess. Sie zeige, wie weit von der Gesellschaft entfernt Politiker seien, die mit Ideen wie Taschengeld-Streichung auf Abschreckung der Flüchtlinge setzen. "Die meisten Deutschen wollen Flüchtlinge aufnehmen, das zeigen die vielen ehrenamtlichen Helfer", sagt Hess. "Und die Vertreter der Marktwirtschaft wollen es auch: Deutlicher geht es nicht." Auch Herbert Brücker vom Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit begrüßt die Forderungen der Wirtschaft - vor allem für die Flüchtlinge. "Je länger jemand aus seinem Beruf ausscheidet, desto schwieriger wird es wieder einzusteigen: Das gilt auch für diese Zuwanderer", sagt Brücker. "Und Arbeit integriert in die Gesellschaft."
Große Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt
Der Migrationsforscher sieht zu viele Hürden für Asylbewerber. "Es funktioniert ja derzeit nicht einmal, alle Asylanträge zu registrieren", sagt Brücker. "Auch das verzögert den Eintritt in den Arbeitsmarkt." Wie viele begehrte Fachkräfte die Wirtschaft unter den jetzt Angekommenen finden wird, könne man jedoch noch nicht belastbar sagen. Ein Fünftel habe einen Hochschulabschluss, viele hätten aber auch keine abgeschlossene Ausbildung. "Probearbeiten ist eine gute Möglichkeit, Berufserfahrung zu testen und dann gezielt nachzuschulen", sagt Brücker.
Weil die meisten Asylbewerber jung sind, sei auch die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie hier Bildungsabschlüsse nachholen. Ein Problem für den deutschen Arbeitsmarkt seien unqualifizierte Zuwanderer aber auch nicht: "Es gibt eine hohe Nachfrage an ungelernten Arbeitskräften in der Landwirtschaft, Gastronomie, Gebäudereinigung und Hilfstätigkeiten im Gesundheitsbereich."