Medienethiker Filipovic: Bild von totem Flüchtlingsjungen lähmt

Der Medienethiker Alexander Filipovic sieht die Veröffentlichung von Bildern eines toten Flüchtlingsjungen kritisch.
03.09.2015
epd
Dominik Speck (epd-Gespräch)

München (epd)«Es ist sicherlich ein Bild, das alles Potenzial hat, zu einem Symbolfoto für das Versagen der internationalen Flüchtlingspolitik zu werden», sagte Filipovic dem Evangelischen Pressedienst (epd) in München. «Ich würde dennoch dazu tendieren, es nicht zu zeigen», erklärte der Professor für Medienethik an der Münchner Hochschule für Philosophie. Viele Menschen überfordere es, das Bild anzuschauen.

Foto hat Dimension von Unmenschlichkeit

«Den Leuten dieses Bild in der Zeitung zu präsentieren, wo man eben nicht wegschauen kann, das finde ich zu viel», sagte Filipovic. Redaktionen müssten nicht alle Bilder übernehmen, die in sozialen Netzwerken kursierten. «Das Argument, wir zeigen das, weil es die gesamte Situation in einem Bild sehr gut klarmacht, ist für mich zwar ein gutes Argument», betonte er. Dennoch zeige das Bild eine fast schon intime Szene und habe eine Dimension von Unmenschlichkeit.

Redaktionen sollten die Fotos nach Ansicht von Filipovic deshalb eher beschreiben als zeigen. «Sie können über die Symbolkraft dieses Bildes berichten und auch darauf hinweisen, wie sie dieses Bild behandeln und warum», sagte der Medienethiker. Wer das Bild dann sehen wolle, könne das immer noch in den sozialen Netzwerken tun. Für lobenswert hält Filipovic die Haltung der «Süddeutschen Zeitung», die ankündigte, die Fotos zunächst nicht zu zeigen.

Bild-Zeitung räumte letzte Seite frei

Das bewegende Foto eines toten Flüchtlingsjungen an einem türkischen Strand geht derzeit um die Welt. Der britische «Guardian» (Donnerstagsausgabe) zeigte die Szene auf seiner Titelseite. Bei Twitter wurden die Bilder unter dem Hashtag #KiyiyaVuranInsanlik (türkisch für «Die fortgespülte Menschlichkeit») verbreitet. Die «Bild»-Zeitung räumte für das Foto ihre letzte Seite frei, verbunden mit einem Appell, angesichts des Leids der Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr wegzuschauen.

«Das Bild rüttelt sicher auf, weil man sagt: So was darf nicht passieren!», sagte Filipovic. Dennoch motiviere das Bild nicht unbedingt zum Handeln, sondern lähme den Betrachter vielmehr. «Dieses Bild führt nicht unbedingt dazu, dass man selbst das Heft in die Hand nimmt.»

In der vergangenen Woche hatte die «Bild»-Zeitung bereits Fotos von Flüchtlingsleichen in einem Kühllaster in Österreich veröffentlicht. Beim Deutschen Presserat waren daraufhin zahlreiche Beschwerden eingegangen. Das Zeigen der Bilder aus dem Lkw hält Filipovic für noch fragwürdiger als die Veröffentlichung der Fotos aus der Türkei: «Die Bilder aus Österreich waren noch grausamer und abstoßender.»