Bayreuth (epd)Jochen Koubek hat solche Fragen schon öfter gehört - immer wieder wollen Leute von ihm wissen, was man so mache als «Computerspielwissenschaftler». Und vor allem: Ob in den Seminaren eigentlich gezockt werde. Er muss dann immer milde lächeln. «Es wird bestimmt ab und zu etwas angespielt, so wie in den Filmwissenschaften auch mal ein Filmausschnitt gezeigt wird. Aber grundsätzlich erwarten wir von unseren Studenten, dass sie ihr Medium kennen.»
Jochen Koubek ist Professor für Digitale Medien an der Universität Bayreuth und zugleich Moderator eines neuen Masterstudienganges: Ab dem Herbstsemester können junge Menschen dort lernen, welche kreativen und technischen Prozesse nötig sind, damit ein Computerspiel entsteht. Und es geht darum, wie das Spielen und einzelne Spiele in unsere Gesellschaft einzuordnen sind. Ähnliche Studienfächer gibt es in Deutschland teilweise seit Jahrhunderten für Literatur, Theater oder Musik - für das Kulturgut Computerspiel bislang aber nicht.
Regeln entwerfen
Höchste Zeit, das zu ändern, findet man in Bayreuth und bewirbt den Studiengang als «bundesweit neu- und einzigartig». Es geht um eine Kombination der Bereiche «Game Studies», Medienwissenschaften und Informatik.
Dabei ist es nicht so, dass die Ausbildung nur theoretisch wäre: Technische Aspekte sind ebenso Teil des Studiums wie das sogenannte Game Design und Level Design: «Ein Game Designer entwirft die Regeln, nach denen gespielt wird, ein Level Designer ist verantwortlich für die Gestaltung der Welt, in der nach diesen Regeln gespielt wird», sagt Koubek.
Wichtig sind aber Fragen, die über das Spiel hinausgehen: Wie wirkt sich Computerspielen auf unser Denken aus? Wie verändert sich die Wahrnehmung eines Spiels, wenn man es nicht mehr als Zeitvertreib betrachtet, sondern als sportlichen Wettkampf? E-Sport nennt sich dieses Phänomen - und genau wie im Spitzensport gibt es eine kleine Gruppe von Menschen, die damit reich geworden ist.
Dem Medium verpflichtet
Wenn die Studenten dann ihre Ausbildung abgeschlossen haben - also Spiele entwickeln können und zugleich Kontexte erkennen - dann erschafft nach Hoffnung der Universität der eine oder andere von ihnen etwas, wofür es den Begriff «Meaningful Games» gibt. Das sind Spiele, durch die man Zusammenhänge begreifen kann.
«Computerspiele sind nicht abgehoben vom Rest der Welt. Es gibt sogar Systeme, die sich am besten durch ein Spiel verstehen lassen», sagt Jochen Koubek. Ein Beispiel dafür ist seiner Ansicht nach «Data Dealer», bei dem der Spieler in die Rolle eines Datenhändlers schlüpft und so sein Bewusstsein für Datenmissbrauch schärfen kann.
«Wir fühlen uns nicht der Industrie verpflichtet, sondern dem Medium», sagt Cyrus Mobasheri, der als Dozent «Game Design» unterrichtet. «Wenn unsere Absolventen später kommerziell erfolgreiche Spiele entwickeln, dann freut uns das, aber das ist kein Kriterium.»
Diese Herangehensweise an Computerspiele ist überfällig, findet man beim Deutschen Kulturrat in Berlin, dem Spitzenverband der deutschen Kulturverbände. «Computerspiele sind ohne Zweifel ein Kulturgut, weil es sich bei ihnen um visuelle Äußerungen handelt, die auf Kreativität beruhen. Aber gerade in der Ausbildung stehen zu oft technische Aspekte im Vordergrund», sagt Geschäftsführer Olaf Zimmermann.
Betrachtung zu einseitig
Zu selten seien sich die Produzenten bewusst, dass sie Kunst produzierten - oder sogar selbst Künstler seien. Zimmermann: «Alles, was dazu beiträgt, dass mehr künstlerisches Bewusstsein in die Games-Branche gelangt, ist gut.»
Gewaltspiele, Suchtpotenzial, digitale Isolation - all das sind Phänomene, die im Zusammenhang mit Computerspielen diskutiert werden. Bisher sei die Betrachtung von Computerspielen zu einseitig, urteilt der Dachverband der Spielebranche, der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU). Geschäftsführer Maximilian Schenk begrüßt den neuen Master-Studiengang in Bayreuth: «Hier wird der kulturelle Wert digitaler Spiele sowie ihre Wirkung über das Medium hinaus in den Mittelpunkt der Debatten gestellt.»
Außerdem gebe es in Deutschland trotz der guten wirtschaftlichen Aussichten der Computerspielbranche immer noch zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten, sagt Schenk - «dies gilt insbesondere für staatliche Hochschulen und Universitäten».