Der Vorgang ist ebenso ungewöhnlich wie erstaunlich: 2009 hat das ZDF Annegret Helds Roman "Die letzten Dinge" verfilmen lassen. "Lotta & die alten Eisen" erzählte von einer flatterhaften jungen Frau, die notgedrungen erwachsen wird. Sechs Jahre und drei Filme später ist dieser Prozess zum Glück noch längst nicht abgeschlossen. Seit der ersten Fortsetzung, "Lotta & die großen Erwartungen", hat sich Sebastian Orlac der jungen Frau angenommen.
Seine Geschichten basieren zwar allenfalls noch auf Motiven der Romanvorlage, aber den Tonfall, den Stefan Rogall (Buch) und Edzard Onneken (Regie) mit dem ersten Film vorgegeben haben, trifft er perfekt. Gleiches gilt für Regisseur Joseph Orr, der mit "Lotta & das ewige Warum" seinen ersten "Lotta"-Film gedreht hat.
Alltag im Laufschritt
Der Titel bezieht sich auf Lottas Tochter, die im Kindergartenalter und somit in ihrer Warum-Phase ist. Das ist ganz praktisch, weil Lotta auf diese Weise alle Fragen beantworten kann, die man sich vielleicht auch als Zuschauer stellt, und Orlac liefert der kleinen Lilo eine Menge Anlässe für Fragen: Das Drehbuch ist derart handlungsreich, dass es für zwei Filme gereicht hätte. Orrs Inszenierung wirkt allerdings so luftig leicht und lebensecht, als hätte er seiner Hauptdarstellerin bloß ein Stichwort zugerufen und dann gemeinsam mit Kameramann Marco Uggiano beobachtet, was passiert. Josefine Preuß hat sich diese Rolle so sehr angeeignet, dass man versucht ist, Figur und Darstellerin miteinander zu verwechseln. Biografisch ist sie längst keine Jugendliche mehr, aber sie fegt mit einer derartigen Energie durch die Komödie, dass die Lebensfreude automatisch ansteckend wirkt.
Dabei ist Orlacs Geschichte bei aller Freude an den humoristischen Elementen keineswegs die reine Komödie. Der Film macht keinen Hehl daraus, wie anstrengend es ist, als alleinerziehende Mutter Medizin zu studieren; prompt erleidet Lotta, die ihren Alltag ständig im Laufschritt absolviert, einen Schwächeanfall.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auch das Eheleben auf Probe mit ihrem Freund (Golo Euler) offenbart seine unerwarteten Schattenseiten. Dessen Chef (Hans-Werner Meyer) wiederum erteilt ihr nach bestandenem Physikum eine Abfuhr: Sie würde gern bei ihm das notwenige Praktikum absolvieren, aber er traut ihr nicht zu, überhaupt für den Beruf geeignet zu sein. Wie deplatziert Lotta in einer nur noch an Kosten/Nutzen-Ansätzen orientierten Medizin wäre, zeigt Orlac in einem Nebenstrang, der sich schließlich ins Zentrum schiebt: Sie freundet sich mit einem alten Obdachlosen (Branko Samarovski) an, der an Hautkrebs erkrankt ist, als Patient ohne Krankenversicherung aber keine Aussicht auf Behandlung hat. Dieses Problem kriegt sie gelöst, ihre eigenen allerdings nicht.
Trotzdem überwiegen die heiteren Momente des Films. Dafür sorgen neben Orlacs vielen witzigen Einfällen auch Farbgebung und Lichtsetzung, die Lottas Welt in helle, freundliche Töne tauchen. Und dann ist da ja noch der Seitenstrang mit Lottas Vater (Frank Röth) und Davids Mutter (Fanny Stavjanik), beide alleinstehend, die einander nur scheinbar spinnefeind sind. Ein Glück, dass die Geschichte weitergeht: Der fünfte Film ist bereits abgedreht.