Foto: BARADA
Aus dem Flüchtlingslager Atmeh in Nordsyrien. Mit den Heften und Stiften konnte den Kindern dort eine kleine Freude gemacht werden, diese wurden von mehreren Schulen aus der Region Hof und Freiburg gesammelt.
"Jeder will seine Geschichte erzählen"
Millionen Syrer sind wegen des anhaltenden Krieges in die Nachbarländer geflüchtet. Die Freiburger Psychologiestudentin Dunja Khoury konnte nicht mehr länger untätig vorm Fernseher sitzen, als sie die gewaltvollen Bilder sah. Die 24-jährige plant gerade ihren sechsten Aufenthalt an der türkisch-syrischen Grenze. Sie leistet psychologisch-humanitäre Hilfe vor Ort.

Frau Khoury, im Herbst fahren Sie bereits zum sechsten Mal an die türkisch-syrische Grenze. Sie waren dort schon öfters in einem der größten Flüchtlingslager Syriens. Was fehlt den Menschen vor Ort?

Dunja Khoury: Es fehlt so viel. An Nahrungsmitteln, an medizinischer Unterstützung, an Schulbildung – viele Schulen sind zerbombt worden. In den Lagern wollen so viele Kinder in die Schule gehen. Wir haben seit 2013 eine "Schule der Hoffnung" im Lager in Atmeh aufgebaut, doch das reicht längst nicht.

Sie waren bei Ihren Aufenthalten vor allem mit Kindern in Kontakt. Wie haben Sie versucht ihnen zu helfen?

Dunja Khoury:  Als ich 2013 zum ersten mal hin bin, war es mein Anliegen, mit Kindern therapeutisch zu arbeiten. Ich habe dort beispielsweise in einem Krankenhaus auf einem großen Tisch Papier und Stifte zum Malen ausgelegt. Was ich dann dort allerdings heraus gefunden habe, war, dass nicht nur Kinder auf mich zugekommen sind, schnell kamen die Eltern dazu, dann die Ärzte, Krankenschwestern, Studenten, Rentner. Alle haben angefangen zu malen. Und irgendwann hab ich dann gemerkt, es geht hier nicht nur um die Kinder, auch die Mutter will ihre Geschichte erzählen. Jeder will zeigen, was ihm passiert ist und will Trost in seiner Situation haben.

Ich habe immer wieder gesehen, wie der Krieg die Kinder sehr schnell erwachsen werden lässt, wie Kindheit geraubt wird. Vielen, mit denen ich gemalt habe, hatte seit drei, vier Jahren keine Stift mehr in der Hand. Kinder klauen dort auch die Stifte, weil ein Stift so etwas Besonderes für sie ist.

Hat Ihre syrische Abstammung oder Ihr Psychologie-Studium es erst möglich gemacht, dass Sie auf diese Weise helfen können?

Dunja Khoury: Es hilft schon, dass mich die Menschen dort als Syrerin wahrnehmen, auch wenn ich in Deutschland geboren bin, von außen komme. Und auch wenn ich nicht fließend arabisch spreche, ist so das Vertrauen recht schnell aufgebaut. Doch die Sprache ist nicht das Wesentliche. Die Menschen spüren genau, ob jemand da ist, um wirklich helfen zu wollen und ob jemand mitfühlt - darum geht es. Da ist viel, was von Herz zu Herz übertragen wird. Man muss dafür auch nicht Psychologie studiert haben.

Wie gehen Sie persönlich damit um, diese Not mitzuerleben?

Dunja Khoury: Es ist wirklich schwer, mit der Zeit habe ich allerdings einen immer besseren Umgang damit gefunden. Der Anfang war das Schwerste, ich war so nah dran an den Menschen, hab ihren Alltag mit ihnen gelebt – da war es schwierig mich zu distanzieren. Wenn mir jemand seine Geschichte erzählt, habe ich auch heute noch oft Tränen in den Augen. Mir hilft Sport, um die negativen Gefühle wieder loszuwerden, oder auch Malen und der Rückhalt, den mir meine Familie und meine Freunde geben.

Warum engagieren Sie sich so für syrische Flüchtlinge? Was treibt Sie an?

Dunja Khoury: Ich habe es nicht mehr ertragen, einfach nur vor dem Fernsehen dazusitzen, nichts zu tun und zu sehen, wie das Land zerstört wird, wird die Zivilisten leiden, wie die Kinder leiden. Und ja, zuerst wollte ich wohl mit Kindern arbeiten, weil ich mich gefragt hab, was wäre gewesen, wenn meine Eltern nicht vor 30 Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen wären. Dann wäre ich heute vermutlich ein Flüchtlingskind.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen einfach nur glücklich sind, wenn Du dich ihnen zuwendest.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen einfach nur glücklich sind, wenn Du dich ihnen zuwendest. Selbst, wenn Du nichts mitbringst, einfach nur dein offene Ohr, wieviel Dankbarkeit dann bei den Menschen da ist, wenn man einfach nur da ist. Seit ich das erfahren habe, musste ich immer wieder hingehen.

Wir fühlen uns ja manchmal so hilflos, auch mit der aktuelle Flüchtlingskatastrophe, wo so viele Menschen nach Deutschland kommen. Ich denke, wie müssen das nicht ertragen und nur dasitzen und zuschauen, was passiert. Es ist eine Veränderung, wenn ich nur zu einem Menschen hingehe und sage: "Du bist hier willkommen, erzähl mir deine Geschichte." Das kann eine so eine große Veränderung für den Menschen ausmachen. Jeder kann zu Flüchtlingen hingehen und fragen, was seine Nöte sind, was sie brauchen.

Wie können Menschen in Deutschland die syrischen Flüchtlinge unterstützen?

Dunja Khoury:  Schön finde ich Aktionen, die einem selbst Spaß machen, um Spendengelder zu sammeln. In Freiburg haben Studenten beispielsweise gerade eine Solidaritäts-Party mit Syrern zusammen gemacht und den Erlös an unsere Projekte gespendet, mit dem wir beispielsweise die nächste "Clowns-ohne-Grenzen"-Reise nach Syrien finanzieren können.

Sie Sind vor einiger Zeit an Krebs erkrankt und wieder gesund geworden. Auf welche Weise hat diese Lebenserfahrung Sie verändert?

Dunja Khoury: Ja, da war ich 17 Jahre alt. Mich persönlich hat das schon stark verändert. So habe ich gelernt, wie sehr das Leben ein Geben und Nehmen ist. In der Zeit, wo ich wirklich schwach war und keine Kraft hatte... ich weiß, dass meine Mutter jeden Tag meine Hand gehalten hat, egal, ob ich geschrien oder geweint habe, sie war einfach da. Alles Materielle war mit egal, Geschenke oder so, es war einfach wichtig, dass ein Mensch gerade da ist. Später, als ich wieder gesund geworden bin und an der syrischen Grenze im Krankenhaus war, hatte ich dann eine ganz intensive Erfahrung: Ich saß am Bett bei einem 15-jährigen Mädchen. Sie war in dem Haus ihrer Eltern als Luftangriffe es zerstört haben, und nun sitzt sie im Rollstuhl und hat immer starke Schmerzen... und einmal hat sie stundenlang geschrien und geweint vor Schmerz, ich hab dabei nur ihre Hand gehalten und in dem Moment wurden mir klar: So ist das Leben. Wenn du nichts hast, dann nimmst du, aber wenn du etwas hast, kannst du etwas geben. Und vielleicht wird dieses Mädchen irgendwann die Hand von jemand anderem halten. Ich weiß nicht, ob ich das heute auch nur so kann, weil mir damals so stark geholfen wurde. Meine Mutter, meine Familie waren für mich da, haben viel ausgehalten. Ich weiß auch, wie sich starker körperlicher Schmerz anfühlt oder wie es ist, wieder neu Laufen lernen zu müssen, wie sich Abhängigkeit von anderen Menschen anfühlt. Das kenne ich alles von der Krankheit.