jianying yin/iStockphoto
Viele chinesische Eltern stehen unter Druck: Vor allem die Mittelklasse konkurriert um gute Ausbildungsplätze für ihre Kinder, die von Geburt an auf Erfolg getrimmt werden.
Schon als Kleinkind auf Leistung getrimmt
China wird schneller alt als reich - eine Folge der umstrittenen Ein-Kind-Politik, mit der die größte Nation der Welt das Bevölkerungswachstum bremsen will.
03.05.2012
epd
Silke Ballweg

Es ist kurz vor sieben Uhr abends. In einem Klassenzimmer mit Beamer und Stereoanlage rutschen Dreijährige auf kleinen Holzstühlen herum. Sie sind hier, um Englisch zu lernen. "Die Job-Situation in China ist heutzutage sehr schwierig", sagt Frau Wang, die ihren Sohn zweimal die Woche zum Unterricht bringt. "Deswegen will ich, dass er schon von klein auf Englisch lernt. Englisch ist nun mal die internationale Arbeitssprache und ich glaube, es ist wichtig für ihn", betont die besorgte Mutter. 

Viele chinesische Eltern stehen unter ähnlichem Druck. Vor allem die Mittelklasse konkurriert um gute Ausbildungsplätze für ihre Kinder. Damit sie Eingangstests für gute Schulen bestehen, werden die Kleinen von frühester Kindheit an auf Leistung getrimmt. "Wenn sie nicht in der Schule sind, dann haben sie Schwimmunterricht, Geigenunterricht, Klavierunterricht, Mathe-Nachhilfe oder Englisch. Es geht immer darum, besser als andere zu sein", sagt Englischlehrerin Alexis Wiliams.

Termin-Kindheit

Chinas staatlich gelenkte Familienplanung heizt diese Entwicklung an. Denn weil sie nur ein Kind haben, sind Eltern bereit, viel Zeit und Geld in die Ausbildung ihrer Sprösslinge zu stecken. Schon Fünf- oder Sechsjährige haben eine durchorganisierte Woche.

1979 führte die Regierung die Ein-Kind-Politik ein, um das Bevölkerungswachstum zu begrenzen. Immerhin ist China das bevölkerungsreichste Land der Welt mit heute 1,3 Milliarden Menschen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen dürfen chinesische Ehepaare seither nur noch ein Baby zur Welt bringen.

"Diese Politik wurde vom Staat streng überwacht", sagt Zhang Shu Chen. Wie so viele Frauen, die bereits ein Kind zur Welt gebracht hatten, wurde auch sie nach der Geburt ihres Kindes kontrolliert. "Der Staat wollte alles wissen. Wie man verhütete. Ob man sterilisiert war oder die Spirale trug. Ständig wurde man ausgefragt und alles wurde akribisch notiert."

Abtreibungen und zu wenige Mädchen

Fast jede erwachsene Chinesin hat in den vergangenen 30 Jahren abgetrieben. Viele mehrmals, zum Teil auf grausige, primitive Art und Weise. Vor allem auf dem Land wurden weibliche Föten getötet, denn Chinas Bauern bevorzugen traditionell einen männlichen Stammhalter. Die Geschlechter-Auslese hat mittlerweile zu einem massiven Ungleichgewicht zwischen Mädchen und Jungen geführt. Offiziellen Statistiken zufolge gibt es unter den Chinesen unter 20 Jahren bereits heute 30 Millionen mehr Jungen als Mädchen. In zehn Jahren könnten 50 Millionen junge Männer in China Probleme haben, eine Frau zu finden.

Experten beobachten schon heute die Auswirkungen der staatlich verordneten Familienplanung. Von Eltern und Großeltern stets verhätschelt, kommen viele Einzelkinder als Erwachsene nur schwer mit dem Leben zurecht. "Weil ich keine Geschwister habe, gab es zu Hause nie Konkurrenzdruck. Ich musste weder Essen teilen noch Spielzeug, alles war immer für mich da. Deswegen glaube ich schon, dass wir Einzelkinder ich-bezogen und verwöhnt sind", sagt etwa die 24 Jahre alte Cao Ling. Obwohl sie ein Studium an einer der Elite-Universitäten des Landes abgeschlossen hat, kann sie keine gut bezahlte Arbeit finden. Fern von ihrer Familie wirkt die junge Frau hilflos und leicht überfordert.

Alternde Gesellschaft

Die Unfähigkeit, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, ist umso problematischer, als die demografische Entwicklung die junge Generation vor enorme Herausforderungen stellt. Denn China wird alt, bevor es reich geworden ist. Im Jahr 2050 wird die Hälfte der Bevölkerung jenseits der 50 sein. Jeder vierte Chinese ist dann sogar über 65 Jahre alt. Weil bei vielen die Rente nicht ausreichen wird, werden die Jungen finanziell nachhelfen müssen.

"Die eigene Versorgung im Alter hängt auch vom späteren Einkommen der Kinder ab", sagt etwa Manlin Xiong, Mutter einer vier Jahre alten Tochter: "Was passiert, sollte ich einmal schwer krank werden? Dann muss sie sich selbst versorgen können und möglicherweise auch noch mich", sagt die 38-Jährige. Damit ihr Kind den Konkurrenzkampf besteht, drängt auch sie ihre Tochter zur Leistung. Mit vier Jahren lernt die Kleine schon Klavier. Sie kann einfache Sätze auf Englisch sagen und meistert bereits erste Rechenaufgaben.