An den Spätfolgen leiden heute, 70 Jahre später, noch mehr als 200.000 Hibakusha. Hibakusha werden die offiziell anerkannten Überlebenden und Geschädigten - auch aus den Folgegenerationen - der Atombombenexplosionen genannt. Sie leiden physisch und psychisch, erkranken an Krebs, Neugeborene kommen mit Missbildungen auf die Welt. Geschädigte werden diskriminiert, bei der Arbeitssuche und Heirat.
Wasser für die verbrannten Toten
Doch das Gedenken an die Opfer ist lebendig. Alljährlich findet in Hiroshima (am 6. August) und Nagasaki (am 9. August) eine Friedenszeremonie statt. Die Zeremonie in Hiroshima, zunächst als Friedensfestival gestartet und zeitweilig während des Koreakrieges von der amerikanischen Besatzungsmacht verboten, hat sich seit 1954 als ein festes Ritual etabliert.
Neben den Hibakusha und deren Angehörigen nimmt auch der Premierminister teil, nicht aber die Kaiserfamilie. Die Plätze für die "normalen" Besucher sind jedes Mal sehr schnell besetzt. Die Zeremonien dauern etwa eine Dreiviertelstunde und werden live im Fernsehen und Radio übertragen, mittlerweile auch im Internet mit englischer Übersetzung. Hibakusha, Schüler, die Bürgermeister und der Premierminister verlesen Friedens-Deklarationen. Außerdem werden Listen mit den Namen der im vergangenen Jahr verstorbenen Hibakusha übergeben. Chöre singen Friedenslieder, die teilweise speziell für das Gedenken an die Opfer der Atombomben komponiert wurden. Tauben werden fliegengelassen. In Nagasaki wird den Verstorbenen in traditionellen Holzeimern Wasser gebracht. Als sie im Inferno verbrannten, bettelten viele um Wasser, bevor sie starben. Glocken läuten jeweils eine Schweigeminute ein, genau zum Zeitpunkt des Abwurfs der Bomben.
Doch das Gedenken hat auch eine politische Komponente: Forderungen nach einem Verbot von Atomwaffen sowie nach dem ewigen Weltfrieden werden propagiert. In Hiroshima veranstaltet am Abend des Gedenktags eine Bürgerinitiative ein Laternenfest. Bei dieser Veranstaltung werden rund 10.000 Laternen schwimmen gelassen. Dieses Ritual geht auf die traditionelle japanische Totenandacht zurück: Der "Laternenpate" schreibt seinen eigenen Namen und den eines Opfers auf die Laterne. Damit soll die Seele des Verstorbenen beruhigt werden. Denn nach der Vorstellung des Volksbuddhismus können unruhige Seelen Verstorbener den Lebenden Schaden zufügen. Mittlerweile werden auf die schwimmenden Laternen auch "Friedenssprüche" geschrieben, um die Friedensbotschaft in die Welt zu tragen.
Eine kleine Heldin namens Sadako Sasaki
Auch Kunst, Literatur und Filme bringen die Ereignisse der Atombomben immer wieder in Erinnerung. Die Geschichte von Sadako Sasaki (1943-1955) liest jedes Kind in der Schule. Sadako war zum Zeitpunkt des Abwurfs der Atombombe in Hiroshima zwei Jahre alt. Neun Jahre später erkrankte sie an Leukämie. Zu ihr ins Krankenhaus geschickte Papierkraniche ermutigten sie, einem alten Volksglauben entsprechend, 1.000 Papierkraniche zu falten, damit sie wieder gesund würde. Wie viele Kraniche Sadako gefaltet hat, ist unsicher. Nach acht Monaten im Krankenhaus starb sie, mit zwölf Jahren.
Mitschüler verbreiteten Sadakos Geschichte, sammelten Spenden und drei Jahre später wurde in Hiroshimas Friedenspark eine Bronzestatue von Sadako als "Statue der Kinder der Atombombe" aufgestellt. Damit wurden die gefalteten Kraniche zu einem Symbol der weltweiten Friedensbewegung und des Widerstands gegen den Atomkrieg. Jedes Jahr werden rund zehn Millionen Origami-Kraniche aus aller Welt in die Stadt Hiroshima geschickt und die Statue damit geschmückt, um Solidarität und den Wunsch nach Weltfrieden zu zeigen.
Überhaupt sind verschiedene Gedenkveranstaltungen von Schulen, Kommunen, Vereinen oder NGOs insbesondere an Kinder und Jugendliche gerichtet. Es ist üblich, mehrtägige Studienexkursion nach Hiroshima oder Nagasaki zu unternehmen und Zeitzeugen in die Schule einzuladen.
Da immer weniger Hibakusha noch leben, wird Vieles unternommen, dass die Erinnerung an die Atombomben nicht verloren geht. So sichern auch Universitäten und Museen Aufnahmen von Augenzeigenberichten (auch auf deutsch).
Von Hiroshima und Nagasaki nach Fukushima
Im März 2011 erlebte Japan wieder eine atomare Katastrophe. Diesmal waren Erdbeben und Tsunami die Auslöser, die allein rund 16.000 Todesopfer forderten. Deshalb tritt im öffentlichen Bewusstsein bis heute nicht so richtig in den Vordergrund, dass für das atomare Unglück auch hier der Mensch durch mangelnde Anpassung seiner Technologien an die Naturgewalten verantwortlich ist.
So hat sich das Gedenken an die Atombombenabwürfe bislang nicht geändert - offiziell zumindest. Beides sind atomare Ereignisse, werden allerdings normalerweise nicht miteinander verbunden gedacht und erzählt. An der von der Politik propagierten strikten Unterscheidung zwischen ziviler ("friedlicher") und militärischer Nutzung der Atomkraft hat sich seit den 1950ern nicht viel geändert.
Dass diese Trennung problematisch ist, haben zuletzt die schwierigen Atom-Verhandlungen mit dem Iran gezeigt. Die Verbindungen beider Bereiche in der nuklearen Kette vom Uranbergbau über die Urananreicherung bis zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstäbe für die Herstellung von Plutonium werden in der japanischen Öffentlichkeit kaum thematisiert.
Japan setzt weiter auf Atomstrom
Überhaupt hat es die japanische Anti-Atomkraft-Protestkultur schwer. Einerseits führen viele Bürgerinitiativen und Aktivisten lebhafte Diskussionen und organisieren Demonstrationen, andererseits werden sie von öffentlichen Institutionen und den großen Medien nicht genug wahrgenommen oder gar bewusst ignoriert. Nun versucht die Regierung unter Premier Abe, den Betrieb der AKW wieder aufzunehmen.
Dagegen formiert sich verstärkt lokaler Widerstand. Was bislang fehlt, ist eine starke landesweite Organisation. Doch in der letzten Zeit erheben auch jüngere Menschen in Japan ihre Stimme gegen die Atompolitik.
Der Kampf darum, dass die Leiden und der Tod der Opfer der militärischen und zivilen Nutzung der Atomkraft nicht vergeblich waren, dauert an.