epd: Die Kriege in Syrien und im Irak, in der Ukraine und im Jemen beherrschen seit Monaten die Schlagzeilen - die Bilanz sind Tausende Tote, Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. All dies sind konventionell ausgetragene Konflikte. Warum richtet der Weltkirchenrat gerade jetzt den Fokus auf Nuklearwaffen?
Bedford-Strohm: Gerade weil die aktuellen konventionellen Konflikte im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen, ist es umso wichtiger, an die Nuklearwaffen zu erinnern. Das Thema wird in seiner Bedeutung unterschätzt. Dass in Deutschland nach wie vor Atomwaffen lagern, weiß kaum noch jemand. Bei einer Zuspitzung der gegenwärtigen konventionell ausgetragenen Konflikte könnten Atomwaffen aber plötzlich sehr gefährlich werden.
epd: Sie reisen im Rahmen einer Pilgerreise des Weltkirchenrats am Dienstag nach Hiroshima und Nagasaki. Was sind die politischen Ziele der Reise?
Bedford-Strohm: Wir haben von unserem christlichen Glauben her einen Versöhnungsauftrag und müssen daher das Problem der Verbreitung von Atomwaffen in die Weltöffentlichkeit zurückholen. Der 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki ist ein geeigneter Anlass. Der Atomwaffensperrvertrag darf nicht nur Papier sein. Atomwaffen müssen weiter reduziert werden. Die Delegation, mit der ich nach Japan reise, kommt aus ganz unterschiedlichen Kirchen der Welt, aus Ländern, die entweder selbst Atomwaffen besitzen oder unter dem Schutz von Atomwaffen ihrer Verbündeten stehen.
epd: Was ist Ihre persönliche Motivation, sich diesem Pilgerweg anzuschließen?
Bedford-Strohm: Ganz persönlich setze ich mich seit langem mit der atomaren Rüstung auseinander. In der Nachrüstungsdebatte der 80er Jahre war das ein Thema, was fast jeden beschäftigt hat.
epd: Haben Sie damals auch im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert?
Bedford-Strohm (lacht): Ja, ich war dabei, nicht nur im Bonner Hofgarten. Umso stärker fällt mir der Kontrast zur Gegenwart auf. Als es damals tatsächlich Abrüstungsschritte gab, als die Mauer fiel und die Blockkonfrontation überwunden schien, wurde das Thema vergessen.
epd: Die Zahl der einsatzbereiten Waffen hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges drastisch verringert. Sehen Sie dadurch die Gefahr eines Atomschlags verringert? Und wie schätzen Sie die Erfolge der nuklearen Abrüstung seit 1990 ein?
Bedford-Strohm: Auf jeden Fall muss man sich darüber freuen, dass das Potenzial zum Overkill, das es in den 80er Jahren gab, reduziert worden ist. Die Welt hätte zigfach vernichtet werden können. Nach wie vor stehen aber allein auf amerikanischer Seite und russischer Seite je rund 7.000 atomare Sprengköpfe, die einsatzbereit sind. Das Zerstörungspotenzial ist weiterhin immens, sowohl auf Seiten der Nato als auch auf Seiten Russlands. So lange es Atomwaffen auf dieser Welt gibt und sie von den großen Mächten sogar in riesiger Zahl bereitgehalten werden, so lange können wir nicht ruhig bleiben.
epd: Welche Bedrohung geht heute noch von Atomwaffen aus?
Bedford-Strohm: Es gibt eine zweifache Bedrohung: Zum einen besteht allein durch die Existenz solch brandgefährlicher Waffen immer die Gefahr, dass es durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zu Zerstörungen kommt, die niemand beabsichtigt hat. Und zweitens verzichtet die Nato in ihrer Militärstrategie nach wie vor nicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen. Atomwaffen einzusetzen ist mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Wir Christen müssen klar Nein dazu sagen.
epd: Die Bundesrepublik als Nato-Mitglied steht indirekt unter dem Schutz der Atomwaffen im Bündnis. Soll Deutschland darauf verzichten?
Bedford-Strohm: Die Politik sollte auch in Deutschland auf weitere wirksame Schritte zur Vernichtung von Atomwaffen drängen. Wir erleben im Moment das Gegenteil: dass die großen Mächte ihre Arsenale modernisieren wollen.
"Keine Atomwaffen sind das Ziel."
epd: Was ist Ihr Ziel: eine vollständige nukleare Abrüstung?
Bedford-Strohm: Keine Atomwaffen sind das Ziel. Es muss aber politisch klug eingefädelt werden. Unter dem Aspekt einer gemeinsamen Sicherheit sollten die Zahl der Atomwaffen immer weiter reduziert werden. Einseitige Vorleistungen halte ich durchaus für sinnvoll.
epd: Wie wollen die Kirchen dieses Ziel an die Politik herantragen, über die Öffentlichkeit oder über diplomatische Kanäle?
Bedford-Strohm: Beides schließt sich nicht aus. Wenn wir nur auf stille Diplomatie setzen würden, würden wir jetzt nicht nach Hiroshima reisen. Die Kirchen der Welt wollen ein öffentliches Zeichen setzen und an ihre eigenen Länder appellieren. Es sind Vertreter aus den USA, aber auch aus Pakistan dabei, deren Länder Atommächte sind. Wir können die politischen Prozesse nicht bestimmen, aber wir können unseren Einfluss geltend machen und das Thema auf die politische Tagesordnung setzen.
epd: Ist Friedensethik komplizierter geworden, seit die Feindbilder der Blöcke nicht mehr existieren, seit Antworten komplexer geworden sind und neue Bedrohungen durch Terror und asymmetrische Kriegsführung hinzugekommen sind?
Bedford-Strohm: Friedensethik war nie einfach. Wenn man sie ernsthaft betreibt, erfordert das Differenzierung. Auch schon in der Zeit der Blockkonfrontation waren die Dinge nicht einfach. Aber die Frontstellungen sind heute nicht mehr so klar. Menschen, die sich für die Überwindung von Gewalt engagieren, müssen sich der Frage stellen, was man grausamen Praktiken der Kriegsführung bis hin zum Völkermord entgegensetzen kann.
epd: Was sagen Sie diesen Menschen?
Bedford-Strohm: Das sind schwierige Fragen, für die es keine einfachen Antworten gibt. Viele dieser Konflikte sind geprägt von Dilemma-Situationen. Einerseits hat Gewalt nie die Verheißung, zum Frieden zu führen. Gewalt ist immer eine Niederlage und mit Schuld verbunden. Andererseits wissen wir: Wenn wir in gewissen Situationen auf Gewalt verzichten, bezahlen Menschen mit ihrem Leben dafür, weil sie Mördern ohne wirksamen Schutz ausgeliefert sind. Kann man etwa die Christen im Nordirak nur durch gewaltfreie Mittel schützen, oder sind dafür UN-Soldaten, Waffen und eine Schutzzone nötig?
epd: In Stellungnahmen zu Konflikten wie im Nordirak hat die evangelische Kirche Verständnis geäußert dafür, Gewalt als letztes Mittel einzusetzen, um Schlimmeres zu verhindern. Welchen Platz hat in der evangelischen Kirche heute noch eine radikal pazifistische Position, die sich auf das Vorbild des Jesus von Nazareth bezieht?
Bedford-Strohm: Auf Jesus von Nazareth bezieht sich nicht nur die radikal pazifistische Position. Darauf beziehen sich auch Menschen, die sagen, dass sie Menschenleben retten müssen. Keine der beiden Seiten kann Jesus von Nazareth exklusiv für sich in Anspruch nehmen. Aber auch der unbedingte Pazifismus hat einen festen Platz in unserer Kirche. Er hat Kirchen oft davor bewahrt, zu schnell Ja zur Gewalt zu sagen. Das brauchen wir auch in der Zukunft. Eine Position des unbedingten Pazifismus darf sich aber nicht moralisch überheben über die andere Position, die mit der Frage ringt, wie Menschen wirksam geschützt werden können, die von Mörderbanden ohne humanitäre Werte bedroht werden.
"Kirchen können ihr internationales Netzwerk nutzen."
epd: Welche Chance haben die Kirchen, weiteren Druck zur Abrüstung auszuüben oder gar in bewaffneten Konflikten zu vermitteln?
Bedford: Wir dürfen unsere eigenen Möglichkeiten nicht überschätzen. Aber Kirchen können ihr internationales Netzwerk nutzen: Sie sind der ideale Akteur einer weltweiten Zivilgesellschaft. Die Kirchen sind in unterschiedlichen Gegenden der Welt fest vor Ort verwurzelt, zugleich haben sie eine universale Vision, die mit dem Glauben an Jesus Christus verbunden ist. Wir haben eine innere Einheit jenseits der nationalen Grenzen. Das sollte uns ermutigen, noch viel stärker politisch aktiv zu werden im Sinne dessen, was Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat: Wir sollen das Salz der Erde und das Licht der Welt sein.