Foto: Sarika Feriduni/evangelisch.de
Der Glaskünstler Johannes Schreiter zeigt in seinem Atelier in Langen den Entwurf zum Physikfenster in der Heiliggeistkirche in Heidelberg.
Am Grund aller Fragen: Wo war Gott, als die Bombe fiel?
Gottes Gericht, Gottes Gnade, die Atombombe und die Wissenschaft verbinden sich im "Phsyikfenster" von Johannes Schreiter. Beim ZDF-Fernsehgottesdienst am 2. August rückt die Frage, die dieses Fenster aufwirft, in den Mittelpunkt: Wo war Gott?

Bei den Abwürfen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August starben 130.000 Menschen direkt, schätzungsweise 100.000 wurden verwundet. Zehntausende weitere Menschen starben an den Langzeitfolgen der Verstrahlung, unter denen die Einwohner beider Städte bis heute leiden. Die beiden ersten und einzigen Einsätze der nuklearen Vernichtungswaffen durch die USA zeigten der Welt, wie zerstörerisch Atomwaffen wirklich sind.

Der Künstler Johannes Schreiter verarbeitete den Atombombenabwurf in einem Kirchenfenster, das in der Heiliggeistkirche in Heidelberg zu sehen ist. Es ist einer von zwölf Entwürfen, der einzige, der am ursprünglichen Ort auch umgesetzt wurde. Das Fenster steht im Mittelpunkt des Fernsehgottesdienstes, der am Sonntag, 2. August, um 9.30 Uhr im ZDF übertragen wird.

Eine "rasend steile Theologie" sieht Thorsten Moos in dem Werk. Moos ist promovierter Physiker und Theologe und leitet den Arbeitsbereich "Religion, Recht und Kultur" in der Heidelberger "Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft" (FEST). Er war intensiv in die Vorbereitung dieses besonderen Gottesdienstes eingebunden, der unter dem Titel "Am Grund aller Fragen" steht. Wie kann man angesichts einer Katastrophe wie dem nuklearen Massaker noch an einen menschenfreundlichen Gott glauben?

Schreiter hat in seinem "Physikfenster" diesen Widerspruch illustriert. Das Fenster trägt zwei biblische Inschriften. Die erste aus 2. Petr 3,10: "Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden." Die zweite aus Jes 54,10: "Aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer." Darunter hat Schreiter die Atomexplosion dargestellt, flankiert von der Einsteinschen Formel E=mc2 als Symbol der Verstrickung der Wissenschaft in das Unheil.

Wo war Gott?

Harter Stoff, eben "steile Theologie", wie Thorsten Moos es nennt. Der Theologe ist froh, dass sich das ZDF auf ein so schweres Thema im Gottesdienst zur Frühstückszeit eingelassen hat: sich der Theodizee-Frage über den Atombombenabwurf anzunähern. "Die ganzen Motivationen, die dazu geführt haben - Wissenschaft, politische Moral, Militärraison - sind in einer Weise verflochten, dass dieses Abgründige, Grauenhafte, das daraus passiert ist und dessen Auswirkungen man nicht kannte, auf einen ganz tiefen Mischmasch an Motivationen zurückgeht", reflektiert Moos. Die Menschen müssten lernen und analyiseren, "wie wir uns selbst in unserem besten Wollen in solche Unheilszusammenhänge verstrickt sehen". Kleine Schritte in einem scheinbar zwingenden Ablauf, Verantwortung so lange verteilen, bis fast keine mehr übrig ist - das könnte auch heute noch dazu führen, dass jemand auf den roten Knopf der Weltzerstörung drückt.

Darstellung der Atomexplosion auf dem "Physikfenster" von Johannes Schreiter

Und wo ist Gott in diesem Unheilszusammenhängen? Eine allgemeine Antwort könne man darauf nicht geben, sagt Moos, vor allem Kant habe mit seinem Aufsatz "Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee" einen Schlussstrich darunter gezogen. Aber im Einzelnen müsse man die Frage immer wieder betrachten: "Die Theodizeefrage hat ihren eigentlichen Ort in der Seelsorge", erklärt Moos, dort, wo Menschen ihr eigenes schweres Schicksal oder das von anderen auf ihren Glauben beziehen. Da kann dann auch im Einzelfall über Gottesbilder gerungen werden.

Im ZDF-Gottesdienst aus der Heiliggeistkirche wird die große Frage "Wo war Gott?" aber trotzdem eine Rolle spielen. Den Anstoß gibt Schreiters Physikfenster. Es wird im Fernsehbild mit der Eingangsliturgie verbunden sein, die Predigt von Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez wird eine "tastende und zögernde" Interpretation des Kunstwerks sein. "Wir würden nie sagen, man könne eine positive Beziehung herstellen zwischen Gottes Handeln und dem Abwurf der Atombombe", erläutert Moos. Und dennoch war Gott - so wie Schreiter es im Fenster beschreibt - doch irgendwie dabei.

Das Team der Gemeinde gestaltet den Gottesdienst gemeinsam mit japanischen Mitwirkenden, die in Heidelberg leben. Sie haben eine lebendigere Sicht auf das abstrakte Grauen der Atombombenwürfe auf Hiroshima und Nagasaki eingebracht, erzählt Moos: "Wir sprechen immer verkürzt von Hiroshima und meinen den Atombombenabwurf. Für die Japanerinnen ist das aber zunächst eine Stadt. Wenn Menschen eine lebendige Beziehung dazu haben, löst sich das auf in Einzelschicksale."

Die Erinnerung wird dadurch auch 70 Jahre nach der Vernichtung aus dem Atompilz vor dem Erstarren bewahrt. Und das "nie wieder" gewinnt an Stärke.