"Frauen für den Dschihad" heißt das neue Buch von Hamideh Mohagheghi, in dem die das IS-Manifest übersetzt und kommentiert. Blumige Versprechen von Kriegsromantik mischen sich in der IS-Propaganda mit der Verteufelung moderner, westlicher Lebensweisen nach westlichem Vorbild. Der IS verknüpfe darin "eine Dschihad-Romantik und ein Schwarz-Weiß-Denken", das auf einer "einseitigen, verzerrten Auslegung des Koran fußt", sagt Mohagheghi. Sie versteht ihr Buch als Beitrag zur Aufklärung und zur Präventivarbeit. Denn der Koran könne unterschiedlich gedeutet werden, "leider auch so wie der IS den Koran wortwörtlich nimmt und reduziert auf bestimmte Aussagen und dabei tendenziös auslegt", sagt die islamische Theologin.
Die Propaganda des IS reicht über das Internet bis in deutsche Jugendzimmer. Bunte Fotos dienten der Anwerbung und kündeten von einer heilen Welt des IS, die dort jedoch nicht existiere. Etwa 200 junge deutsche Frauen hätten Deutschland bereits über die Türkei in Richtung Irak verlassen, sagt Mohagheghi.
"Das Manifest ist sehr klug geschrieben, in einer Sprache, die junge Menschen anzieht - gezielt werden Bedürfnisse angesprochen", analysiert die Theologin. Zum Beispiel suggeriere der IS jungen Frauen, die ihren Platz suchten, dass sie bei ihnen wertgeschätzt werden, dass man sie brauche für den Aufbau eines Staates mit einer Ordnung, wie sie Gott angeblich will. Dass die Mädchen Zweit- oder Drittfrauen von Söldnern werden, wird im Manifest verschwiegen.
Der Platz der Frau ist nach Ansicht der IS ausschließlich im Hause. Arbeit außer Haus entfremde sie von ihrer Aufgabe als Mutter. Doch wenn die jungen Frauen aufwachten, dann kämen sie nicht mehr aus dem totalitären IS-Staat heraus. "Es ist ein System, das auf völlige Kontrolle setzt", sagt Mohagheghi. Sittenwächterinnen kontrollierten die Einhaltung der Geschlechtertrennung.
Abwertung alles Weltlichen
Besonders empört Mohagheghi die religiös begründete Unterordnung der Frau unter den Mann, als Befehlsempfängerin und Handlangerin des Mannes. Es sei "äußerst fragwürdig", das aus dem Koran herauszulesen, sagt Mohagheghi. Einseitig sei auch das Bildungsprogramm. Schon mit 15 Jahren solle die religiöse Bildung der Mädchen abgeschlossen sein. Man wolle eben keine selbst denkenden und fragenden Frauen. Die Frauen beim IS lebten in Angst und würden sich auch nicht trauen, etwas anderes zu sagen.
Auch Wissenschaften wie Philosophie und Naturwissenschaft werden im Manifest als unislamisch verunglimpft – eine völlige Umkehrung der islamischen Werte, sagt die Theologin. Denn im Koran gebe es eine Hochschätzung der Wissenschaft. In einer Überlieferung heißt es: "Sucht nach Wissen, wenn es auch in China zu finden ist." So seien gerade die frühen islamischen Gelehrten auch Mediziner und Naturwissenschaftler, Poeten und Philosophen gewesen. Sie suchten nach Gott und ihre Wissenschaft bestärkte sie in ihrem Glauben, schreibt Mohagheghi in ihrem Kommentar.
So dekliniert die islamische Theologin durch, wie Irrtümer und Verkürzungen zu einem "verzerrten, unentwickelten Islambild im IS" führten, vom Kalifatsbegriff bis hin zur Weigerung, die Islam-Überlieferung historisch einzuordnen und religiöse Lehren in die jeweilige Epoche zu übertragen. So entspreche das Frauenbild, das der IS vertrete, genau dem Bild aus dem siebten Jahrhundert, das im Koran nicht gebilligt werde, sondern das korrigiert werden sollte. Es existiere kein islamisches Gebot, das den Frauen auferlege, sich aus der Gesellschaft fernzuhalten. Wohl aber sollten sich die Frauen Mohammeds, die in einer öffentlichen Moschee mit ihm lebten, Distanz zur Gemeinschaft bewahren - eine konkrete Vorschrift, die nicht verallgemeinert werden könne.
Warum fällt die Propaganda des IS überhaupt auf so fruchtbaren Boden im Westen? Hamideh Mohagheghi vermutet, dass es eine "Orientierungslosigkeit in der jungen Generation" gibt und "eine Sehnsucht nach Sinn und einfachen Antworten jenseits von allem Konsum". Der IS wird "als neues Angebot gesehen, das unbekannt, vielleicht auch geheimnisvoll ist". Es spricht die Abenteuerlust der Jugendlichen an, mutmaßt die Theologin.
Unverständlich bleibt die Akzeptanz der Verherrlichung von Gewalt im IS. Etwa der Ermordung von "Ungläubigen" – wer als ungläubig gilt, entscheidet der IS. Mohagheghi glaubt, der IS benutzt Religion nur, um sein System eines totalitären Staates zu legitimieren. Auch die IS-Kämpferinnen berufen sich nur auf wenige Koranstellen oder Teile der Tradition, die "kaum bekannt sind in der islamischen Theologie", kritisiert Mohagheghi. Religion diene als Vorwand, tatsächlich gehe es um Macht und Herrschaft.
Die Gewalttradition kritisch betrachten
Problematisch bleibt die wortwörtliche Auslegung von Koranstellen, die zu Gewalt aufrufen – wie es der IS macht. Bislang gibt es da zu wenig kritische Diskussion innerhalb der islamischen Theologie, sagt Friedmann Eißler, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Sicher hätten 99 Prozent aller Muslime in Deutschland mit radikalen Ansichten und Salafismus nichts zu tun: "Aber zu sagen, 'der Islam' sei gegen Gewalt, wie es Verbandsvertreter öffentlich wiederholt getan hätten, das reicht nicht aus." Die Dachverbände sieht er in der Mitverantwortung: Moscheevereine und islamische Zentren "sind für die Entwicklung einer Theologie mitverantwortlich". "Wenn Gewalttraditionen auch zum Islam gehören, dann müssen wir uns damit kritisch auseinander setzen, das ist im Islam nicht anders als im Christentum", meint Eißler.
Es gilt, genauer hinzuschauen. Wenn auf Demonstrationen kundgetan wird, Gewalt gegen Unschuldige sei nicht in Ordnung, "dann stellt sich die Frage, wie Schuldige definiert werden", sagt Eißler. Denn es gibt durchaus Koranstellen, die einen gewalttätigen Umgang mit Schuldigen festlegen. Das bleibt eine Herausforderung für die Koran-Auslegung in der islamischen Theologie, sagt Eißler. Solange Koranstellen, die in der Zeit Mohammeds im 7. Jahrhundert entstanden sind, nicht historisch eingeordnet werden, sondern eins zu eins als Gottes Befehle gelten, hat man gegen Gewaltgebrauch im Namen des Islam wenig in der Hand.
Es gibt aber auch etwas, wozu Christen in der Diskussion beitragen können, sagt Oberkirchenrat Detlef Görrig, EKD-Beauftragter für den interreligiösen Dialog. "Christen sollten sich nicht daran beteiligen, einseitige, verzerrende oder vereinfachende Islamwahrnehmungen salonfähig zu machen", sagt er. Dadurch würden sie letztlich den religiösen Hardlinern und Ideologen in die Hände spielen. Gefragt seien "Fairness und Augenmaß im Umgang mit den in Deutschland lebenden Muslimen."