Muslimische Lehrerinnen dürfen in Deutschland ein Kopftuch tragen. Das hat im März dieses Jahres das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beschlossen. Ein generelles Kopftuchverbot würde, so die Verfassungsrichter, der Religionsfreiheit widersprechen. Bisher hatte in Deutschland bei dieser Frage ein echtes Wirrwarr geherrscht. In Hessen etwa durften nicht nur Lehrerinnen kein Kopftuch tragen, sondern es war auch alle anderen Beamtinnen verboten. In Rheinland-Pfalz dagegen war den Staatsdienerinnen das Tragen eines Kopftuchs erlaubt.
Das Urteil aus Karlsruhe brachte jetzt bundesweit Klarheit. Zumindest teilweise: Zwar sind generelle Verbote nicht mehr möglich, doch darf das Kopftuch in Einzelfällen immer noch verboten werden. Nämlich dann, wenn es als "gefährliches Signal" gedeutet werden kann oder der sogenannte "Schulfriede" gestört wird. Da aber niemand so genau weiß, wann diese Tatbestände als erfüllt gelten dürfen und wie so ein Schuldfrieden überhaupt aussieht, hat das Bundesverfassungsgericht in Sachen Kopftuch den Ball an die Gesellschaft zurückgespielt. Jetzt müssen einzelne Schulen und Ämter selbst entscheiden, ob bei ihnen das Tragen eines Kopftuches erlaubt sein soll. Die Beweislast liegt allerdings nun bei den Kopftuchgegnern.
Das Kopftuch ist aber nicht nur bei uns ein Stoff aus dem Debatten sind. Höchste Zeit, einmal zu einigen unserer europäischen Nachbarn hinüberzublicken und zu fragen: Wie halten die es eigentlich mit dem Kopftuch in Ämtern und Schulen?
Strenger Laizismus im Frankreich, freier Pluralismus in Großbritannien
In Frankreich hat es das Kopftuch schwer, denn dort ist der Laizismus – ein Erbe der französischen Revolution – offizielle Staatsdoktrin. Laizismus bedeutet, dass Staat und Religion strikt getrennt sind. Religiöse Symbole wie das Kopftuch sind damit aus Schulen oder Ämtern verbannt. Das ist streng, aber durchaus fair: Schließlich gilt das Verbot für alle religiösen Symbole und nicht nur für das Kopftuch. Juden dürfen also auch keine Kippa tragen, Christen kein Kreuz. Eine Regelung wie etwa in Bayern, wo das Kruzifix in Schulen an der Wand hängt, das Kopftuch aber abgezogen werden muss, ist in Frankreich undenkbar.
Großbritannien ist nach Frankreich das älteste Einwanderungsland Europas. Doch hat man sich dort für einen ganz anderen Weg entschieden: den pluralistischen. Die oberste Prämisse dieses Modells lautet, dass niemand für aufgrund seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert werden darf. Es gibt deswegen im Vereinigten Königreich keine Einschränkungen, was das Tragen eines Kopftuchs angeht, auch in Schulen und Ämtern ist es erlaubt. Es gibt sogar muslimische Varianten der Polizei- und Schuluniformen. Bemerkenswerterweise profitieren die Kopftuchträgerinnen in Großbritannien von der aus Indien stammenden Religionsgruppe der Sikh. Die Sikh hatten sich als erste das Recht erstritten, ihren Turban im Polizei- und Schuldienst tragen zu dürfen.
Auch in Schweden dürfen Polizistinnen inzwischen Kopftuch tragen. Einzige Bedingung: Es muss zur blauen Uniform passen. Die Kopftuchdebatte wurde in Schweden erst sehr spät geführt, gewann in den letzten Jahren aber deutlich an Fahrt.
Schweiz und Österreich als Spiegel von Frankreich und Deutschland
Wer bei Österreich nur an Dirndl und Trachtenhüte denkt, der verkennt die multikulturelle Tradition der Alpenrepublik. Die geht zurück bis in die KuK-Monarchie. 1908 annektierten die Österreicher Bosnien-Herzegowina und zählten von da an Muslime zu ihrer Bevölkerung. Infolgedessen wurde der Islam 1912 offiziell anerkannt und mit anderen Religionen gleichgestellt. Auf diese Regelung konnten sich in den sechziger Jahren dann auch die ersten Gastarbeiter berufen. Einer Frau zu verbieten, ein Kopftuch bei der Ausübung ihrer Arbeit zu tragen, würde dem österreichischen Recht auf Religionsfreiheit widersprechen. Österreich konnte so zu einem Exilland für Lehrerinnen mit Kopftuch werden.
In der Schweiz dagegen wurden Lehrerinnen mit Kopftuch bisher immer abgelehnt. Eine eindeutige Gesetzeslage gibt es bei den Eidgenossen aber nicht. Eine Regelung wie in Deutschland ist eher unwahrscheinlich, da die französische Schweiz eine ausgesprochen laizistische Tradition hat.
Deutlich ist: Einen Königsweg gibt es nicht. Unentschiedenheit, wie etwa bisher in Deutschland oder der Schweiz, führt tendenziell dazu, Minderheiten zu benachteiligen. Pluralistische Lösungen können nicht verhindern, dass es zu Versuchen kommt, die bestehende Gesetzeslage noch weiter auszudehnen. So gab es in England Vorstöße, neben dem Kopftuch auch den Niqab oder die Burka im öffentlichen Raum zu etablieren. Andererseits konnte auch der Laizismus in Frankreich religiöse Radikalisierung nicht verhindern - denn die passiert auch ohne äußere Zeichen. Das Kopftuch wird jedenfalls Konfliktstoff bleiben.