Mit 56 Jahren entschied Marion M., ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die Unternehmensberaterin hatte sich in Indonesien mit einer Amöbenruhr infiziert. Als alle Versuche scheiterten, die schwere Infektionskrankheit zu heilen, dachte sie über Selbstmord nach. Dann stieß M. auf das Buch "Ausweg am Lebensende" des niederländischen Psychiaters Boudewijn Chabot und des deutschen Biochemikers Christian Walther. Es beschreibt, wie man durch Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit aus dem Leben scheidet. Doch an der Rolle, die die Ärzte dabei übernehmen, scheiden sich die Geister.
Das 2010 erschienene Buch und der Fall von Marion M. führten in den vergangenen Jahren wiederholt zu Kontroversen über das Sterbefasten. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, wenn Ärzte Menschen dabei begleiten. M. war von einem Mediziner bis zu ihrem Tod betreut worden, um die Nebenwirkungen des Fastens, etwa Unruhezustände, Mundtrockenheit oder Schmerzen, zu lindern. Ihr Fall wurde bekannt, weil er von der Medienwerkstatt Wuppertal dokumentiert wurde.
Grundsätzlich müsse man den Wunsch eines Menschen, durch Fasten zu sterben, respektieren, sagt Michael Coors. Er ist Theologischer Referent am Zentrum für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum in Hannover. Voraussetzung sei allerdings, dass der Patient bei klarem Verstand sei und die Entscheidung nicht aus einer Depression heraus falle. In der Diskussion über den Fall Marion M. äußerten einige Mediziner jedoch Zweifel daran, ob der Patientin, die offenbar durch ihre Erkrankung extrem erschöpft war, nicht doch noch zu helfen gewesen sei.
Tatsächlich sei es letztlich immer eine Ermessensfrage, ob der Todeswunsch eines Patienten wirklich freiverantwortlich gefallen sei, betont Coors. An diesem Punkt geraten Ärzte immer wieder in Gewissenskonflikte. Medizinern untersagt derzeit in der Regel das Standesrecht der Bundesärztekammer, nicht jedoch das Strafrecht, eine Hilfe beim Suizid, die ansonsten für jeden anderen Bürger straflos ist. Viele Mediziner sehen die Begleitung von Menschen, die sterbefasten, aber nicht als Beihilfe zum Suizid. Denn der Arzt unterstützt die Selbsttötung nicht aktiv, sondern unterlässt lediglich die Zwangsernährung.
"Man muss dem Patienten die Angst nehmen"
Der Fall von Marion M. ist nach Erfahrung von Medizinern eine Ausnahme. In der Regel seien Sterbefastende alte Menschen, die kurz vor dem Tod stünden und ihr Leiden abkürzen wollten, sagt Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes, in Berlin. Dass ein jüngerer Mensch aufgrund einer Erkrankung nicht mehr essen und trinken wolle, habe er noch nicht erlebt.
Der Arzt Roland Hanke erlebt in seiner Praxis regelmäßig Fälle, in denen alte und kranke Menschen nicht mehr essen und trinken wollen. Für die Angehörigen sei das oft schwer zu akzeptieren, beobachtet der Vorsitzende des Hospizvereins Fürth. Doch in manchen Fällen müsse man sich auch fragen, ob der Patient die Nahrung nicht aus gutem Grund ablehne, etwa weil Essen ihn belaste. So könne das Essen den Zustand eines todkranken Patienten auch verschlechtern, etwa bei Krebs im Endstadium. Wenn der Kranke dann künstliche Ernährung ablehne, müsse man das respektieren.
Entscheidend sei aber, dass der Arzt die moralische Pflicht habe, mit dem Patienten über Alternativen zur Selbsttötung zu sprechen, sagt Coors. Meist sei es die Angst vor Schmerzen und vor dem Alleinsein, die Patienten dazu bringe, ihren Selbstmord zu planen, berichtet Hardinghaus: "Man muss dem Patienten diese Angst nehmen." Zum Beispiel durch eine gute Betreuung und die Versorgung mit Schmerzmitteln.Auf jeden Fall müsse es eine ethische Beratung geben, fordert Hanke. Er holt in solchen Fällen Pfleger, Angehörige und Ärzte zusammen, um herauszufinden, ob der Patient sich aus freiem Willen und bei vollem Verstand zum Fasten entschieden hat. Voraussetzung für das Sterbefasten sei auch immer, dass Nahrung und Flüssigkeit bereitstehen, falls es sich der Patient doch noch einmal anders überlege. Er habe schon mehrfach erlebt, dass Fastende sich wieder dem Leben zugewandt hätten. Und das sei es auch, was den qualitativen Unterschied zur Suizidhilfe ausmache, sagt Coors. Beim Sterbefasten kann der Patient seine Entscheidung auch noch nach Tagen rückgängig machen.