All die Katastrophen in diesem Film sind nur Nebensache, denn Richard (Roeland Wiesnekker) hat es nach zwanzig Jahren endlich geschafft, den Schatten seines Bruders hinter sich zu lassen. Außerdem ist es ihm gelungen, die Liebe seiner Tochter zurückzuerobern, und danach sieht es zu Beginn wahrlich nicht aus: Marie (Lola Dockhorn), Prachtexemplar eines trotzigen Teenagers, lässt Richard erbarmungslos auflaufen, weil sie ihm die Schuld am Scheitern der Familie gibt. Als noch größere Herausforderung für den alsbald völlig überforderten Mittvierziger erweist sich jedoch seine demente Mutter, die er an diesem Sonntag eigentlich wie abgesprochen ins Seniorenheim bringen wollte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hilde (Christine Ostermayer) hat allerdings ganz andere Pläne und macht sich kurzerhand aus dem Staub, um ins hundert Kilometer entfernte Altötting zur Schwarzen Madonna zu pilgern. Vater und Tochter holen die Großmutter zwar wieder ein, aber die lässt sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Richard will natürlich mit dem Auto fahren, aber selbst wenn es Wallfahrt heißt: Die Strecke muss zu Fuß dennoch zurückgelegt werden; und wie bei allen Ausflügen dieser Art ist der Trip nach Altötting selbstredend eine Heldenreise in die eigenen Innenwelten.
Natürlich kostet Ammann, der auch das Drehbuch geschrieben hat, das Pech seiner Hauptfigur weidlich aus, zumal Wiesnekker diesen von vielen Missgeschicken gebeutelten Mann mit zunehmend komischer Verzweiflung verkörpert. Während Mutter und Tochter ihm auf der Nase rumtanzen, wird er dank regelmäßiger Telefonate mit einem Angestellten hilflos Zeuge, wie seine Firma pleite geht.
Musik vermittelt sanft ironische Heiterkeit
Trotzdem macht Ammann schon früh deutlich, dass die komödiantischen Momente nur dazu dienen, um die eigentliche Geschichte leichter verdaulich zu machen: Erst wenn sich Richard seiner Rolle als Sohn vergewissert, kann er auch ein guter Vater sein. Das aber scheint unmöglich, denn sein Widerpart ist ein Geist: Mutter Hilde hat stets seinen jüngeren Bruder bevorzugt, erst recht nach dessen Tod, an dem sie Richard zu allem Überfluss die Schuld gibt. Dass die Tonart des Films trotz dieses Hintergrunds nie vorwiegend tragisch ist, liegt nicht zuletzt an der Musik von Thomas Osterhoff, die eine sanft ironische Heiterkeit verbreitet.
Ähnlich sehenswert wie Wiesnekker sind auch seine beiden Partnerinnen, Bei einer Bühnengröße wie Christine Ostermayer ist das natürlich keine große Überraschung, und bei Lola Dockhorn im Grunde auch nicht; aber nur, wenn man sie als Tochter eines behinderten Vaters in der Tragikomödie "Einer wie Bruno" mit Christian Ulmen (am 4. August im ZDF) gesehen hat. In "Nebenwege" stellt die mittlerweile 18-jährige Schauspielerin ihr großes Talent erneut unter Beweis. Eine witzige Gastrolle spielt Tilo Prückner, dem unter anderem das Kunststück gelingt, beim Mopedfahren einhändig eine Bierflasche zu öffnen.