Betül Ulusoy möchte keinen Kontakt mehr zu den Medien. Die Anfrage für ein Interview lehnt sie ab und erklärt das so: "Mittlerweile hat nun jeder genug gesagt und langsam ist es auch genug." Sie ertrage die vielen unwahren Aussagen über sich nicht mehr; was sie über sich lese und höre, sei ziemlich belastend. Alles, was es zu der Auseinandersetzung mit dem Bezirksamt Neukölln mitzuteilen gebe, habe sie auf ihrem Facebook-Profil geschrieben.
Betül Ulusoy ist eine prominente Muslima – vor allem Menschen, die sich aus beruflichen oder privaten Gründen für die Islam-Debatten interessieren, kennen sie inzwischen. Als Bloggerin hat sich die Berlinerin auch jenseits der Hauptstadtgrenzen einen Namen gemacht und meldet sich immer wieder zu Wort - sei es auf Podien oder in den Medien. Ihr Bekanntheitsgrad ist in jüngster Zeit einmal mehr gestiegen. Denn Ulusoy schaltete vor zwei Wochen die Presse ein, um das nach ihrer Ansicht ihr widerfahrene Unrecht öffentlich zu machen. Seitdem berichten die Medien über die junge Frau und ihre Diskriminierungserfahrung beim Bezirksamt Neukölln.
Auf ihrer Facebook-Seite beschreibt Ulusoy die Anläufe so: Sie habe sich telefonisch als Rechtsreferendarin beworben und nach eigenen Angaben auch schon eine mündliche Zusage erhalten. Als sie dann zum vereinbarten Termin beim Bezirksamt erschien, habe sie die Auskunft erhalten, dass aufgrund ihres Kopftuches erst geprüft werden müsse, ob sie die Stelle antreten könne.
Aus den Blogeinträgen der Kopftuchträgerin lässt sich entnehmen: Mit ihrer Bewerbung wollte sie die Einstellungspraxis des Bezirksamts Neukölln anprangern und ein Exempel situieren. Denn diese Berliner Behörde diskriminiere Kopftuch tragende Bewerberinnen.
Öffentlichkeitswirksame Aktion ohne Konsequenzen?
Das Bezirksamt Neukölln hingegen erklärt, Ulusoy habe gar keine Absage erhalten. Noch vor einer Rückmeldung auf ihre Bewerbung habe sie die Presse eingeschaltet. Welche Version der Ereignisse - die von Ulusoy oder die des Bezirksamts - wirklich stimmt, bleibt offen. Der "Kopftuch-Streit" geht längst darüber hinaus. Denn Ulusoys Vorgehensweise polarisiert: Während die einen die junge Frau zu einer Heldin stilisieren, die persönliche Nachteile in Kauf genommen habe, um sich für die Rechte von Kopftuch-Trägerinnen einzusetzen, kritisieren andere ihr Verhalten und unterstellen ihr – wie etwa Neuköllns Vize-Bürgermeister Falko Liecke (CDU) – politische Motive. Kritik erntet die junge Frau vor allem, weil sie die Diskriminierung über die Medien aufgebauscht habe.
„Diskriminierung muss angeprangert werden! Den Kopftuch tragenden Frauen hat Ulusoy mit dieser unausgegorenen Aktion eher einen Bärendienst erwiesen, weil sie zum einen das Stigma der fremdgesteuerten Kopftuchaktivistin bestärkt und zum anderen Kopftuch tragenden Frauen einem erneuten Rechtfertigkeitsdruck aussetzt, warum sie sich verhüllen“, sagt Sineb El Masrar, Autorin des Buches „Muslim Girls“. Dass Ulusoy in ihrem Blog den Streit mit den Sätzen kommentiere,"Dass gerade eine negative Erfahrung mir in aller Deutlichkeit gezeigt hat, wie großartig mein Land und seine Menschen sind, ist einfach wunderbar“, zeige auch, dass sie strukturelle Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt als eine privilegierte Muslima hinter sich lasse und mit dieser Aktion niemanden wirklich geholfen habe. Al-Masrar hat marokkanische Wurzeln, ist auch Muslima, aber keine Kopftuchträgerin. Als sie sich in einem Tweet kritisch über Ulusoys „mediale Inszenierung“ äußerte, wurde sie selbst zur Zielscheibe von Attacken aus der konservativen muslimischen Community.
"Dass Betül Ulusoy für ihre Rechte kämpft, ist gut", sagt Lamya Kaddor. Aber auch sie bezweifelt, ob die junge Frau sich mit dieser Aktion tatsächlich in den Dienst der Allgemeinheit gestellt habe. Es brauche mehr Sensibilität beim Engagement für die Interessen von Kopftuchträgerinnen, gerade weil über dieses Thema so hoch emotional debattiert werde. Es sei unklug gewesen, den Fall öffentlich zu machen, auch wenn aus feministischer emanzipatorischer Perspektive das Erkämpfen des Rechts auf eine Arbeitsstelle als gut und richtig bewertet werden könne.
"Das allein reicht aber nicht", meint Kaddor. Bei solchen Auseinandersetzungen dürfe der Gesamtkontext nicht aus den Augen verloren werden. "Betül Ulusoy hätte für ihr Recht kämpfen und dann die Stelle auch antreten können." Mit dieser Vorgehensweise, meint Kaddor, hätte sie vermutlich mehr bewirkt für muslimische Bewerberinnen, die im Dienst nicht ihr Kopftuch ablegen möchten.
"Einen Stein ins Rollen gebracht"
Ganz anders bewertet den Fall die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus: "Betül Ulusoy hat einen Stein ins Rollen gebracht." Sie habe sich stark gefühlt und stellvertretend für andere muslimische Frauen, die dazu nicht in der Lage sind, die diskriminierende Vorgehensweise einer Behörde öffentlich gemacht. Für eine Einschätzung darüber, welche Auswirkungen dieser Fall tatsächlich haben werde, sei es aber noch zu früh, sagt Spielhaus: "Nach dem jüngsten Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind die Bundesländer jedenfalls gefragt, ihre Gesetze zu überprüfen und gegebenenfalls zu bearbeiten."
Die von Ulusoy losgetretene Diskussion über das Berliner Neutralitätsgesetz führt zu der Frage, ob Kopftuch tragende Frauen der Weg in einen Beruf mit so genannten hoheitlichen Aufgaben – Richterin, Staatsanwältin oder Polizisten etwa – versperrt bleiben darf. Eine Debatte darüber sei mehr auf gesellschaftlicher als auf rechtlicher Ebene zu führen, sagt der Erlanger Jura-Professor Mathias Rohe. Betül Ulusoy hat diese Debatte angeschoben, für sie wird das aber wohl ein Nachspiel haben – wegen des "öffentlichen Vorführens einer Behörde". Der CDU-Stadtrat Liecke kündigte ein Disziplinarverfahren gegen die Juristin im Vorbereitungsdienst an. "Sie hat als Landesbedienstete und Juristin unter Vortäuschung falscher Tatsachen eine Debatte losgetreten, die jeglicher Grundlage entbehrt", argumentiert auch ist Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey: "Wer sich so verhält, setzt seine Glaubwürdigkeit und Integrität als Juristin aufs Spiel." Dieser konkrete Kopftuchstreit ist also noch nicht vorbei.