Es gibt von Ihnen das Zitat: "Vielleicht ist es ja von Gott so eingerichtet, dass ich mich über die Musik mit ihm unterhalten kann?!" Ist das Singen für Sie eine Art Gebet?
Alexander: Dies hatte ich tatsächlich in einem Interview gesagt, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Ich habe durch die Musik, speziell durch den Oratoriengesang, wieder einen neuen Zugang zu Gott und Glauben gefunden. Ich gebe zu, dass ich viele Anläufe unternommen habe, um eine Kommunikation aufzubauen und einen "Draht" zu ihm zu bekommen. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich von Gott mit meiner Stimme sehr reich beschenkt wurde. Ein berühmter Musikwissenschaftler hatte es mir als junger Mensch bei einem Gesangswettbewerb etwas drastischer gesagt, indem er mir zurief: "Alexander, Ihnen hat der liebe Gott in den Hals geschissen!" Das war vielleicht nicht wirklich fein und ich wusste zu dem Zeitpunkt als junger Bursche auch nicht wirklich diese Aussage zu deuten. Heute weiß ich natürlich was er damit gemeint hat. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Es gibt Momente während des Singens und des Musizierens, in denen ich Gottes Kraft und Nähe deutlich spüre. Ich würde dies nicht als Gebet bezeichnen, aber es sind unglaublich kostbare und wertvolle Momente.
Ihre Beziehung zu Gott ist keine einfache: Sie gingen schon früh in die Sonntagsschule in der evangelisch-methodistischen Gemeinde in ihrem Heimatort, waren in der Jungschar und sprachen jeden Abend ein Nachtgebet. Trotzdem stellten Sie irgendwann fest, dass sie das eher Ihrer Mutter zuliebe gemacht haben. Wie ist Ihnen das bewusst geworden?
Alexander: Diese Frage klingt sehr tragisch. Ich würde dies als eher natürlichen Prozess sehen. Ich glaube nicht, dass man als junger Mensch im Alter von vier bis zehn Jahren weiß, was es wirklich heißt, an Gott zu glauben. Der sonntägliche Kirchgang gehörte einfach zum Wochenabschluss dazu. Sicherlich geht kein Junge in diesem Alter freiwillig zum Kindergottesdienst, gibt es doch in dieser Stufe des Lebens zunächst wichtigere Dinge. Denken Sie nur ans Fahrradfahren, Fußballspielen etc. Natürlich möchte man die Mutter nicht enttäuschen und so bin ich ihr zuliebe in die Sonntagsschule gegangen. Und ähnlich verhält es sich mit dem allabendlichen Gebet. Im wahrsten Sinne des Wortes sagt man gebetsmühlenartig die Verse "Ich bin klein, mein Herz mach' rein…." genauso wie "Müde bin ich, geh zur Ruh…." auf und macht sich nicht wirklich Gedanken um die Bedeutung. Im Alter von 13 bis 14 Jahren wurde mir dann bewusst, dass ich das Ganze einfach nur aufgesagt hatte, weil man das eben so machte. So habe ich das dann irgendwann sein lassen und habe bemerkt, dass sich dadurch nichts in meinem Leben veränderte - weder positiv noch negativ.
"Ich habe um Gottes Hilfe gefleht und war dennoch allein"
Später gab es immer wieder Enttäuschungen, unerhörte Gebete, Zweifel. Haben Sie mit Ihrem Gott gehadert, Ihren Glauben verloren – oder gar nicht erst wirklich einen Glauben entwickeln können?
Alexander: Ach wissen Sie, heute kann ich darüber lachen. Damals war das in der Tat ein Problem für mich. Im Fach Mathematik habe ich nicht unbedingt sonderlich geglänzt. Und so war es jedes Mal ein Zittern und Beben, wenn eine Klassenarbeit angestanden hat. In meiner Not habe ich mir die tollsten Gebete ausgedacht, aber sie wurden nicht erhöht. Und mein Notenspiegel veränderte sich nicht wie gewünscht nach oben, sondern nach unten. Meine Schwester hatte in ihrem Zimmer einen Schreibtisch stehen, auf dessen unterster Schublade ein Aufkleber klebte mit der Aufschrift: "Gott vermag all' Deine Probleme zu lösen." In meiner Not legte ich mein Rechenheft hinein und hoffte somit auf eine bessere Note. Das hat natürlich genauso wenig Erfolg gezeigt, wie das Heft unter das Kopfkissen zu legen. Einzig und allein, das Bewusstsein zu entwickeln, intensiver und gezielter zu lernen, hat den gewünschten Erfolg gebracht. Oder ein anders Beispiel: Vor zehn Jahren ist ein lieber Freund von mir auf tragische Weise bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er starb in meinen Armen. Ich habe um Gottes Hilfe gefleht und war dennoch allein. Dies sind alles Momente im Leben, die nicht unbedingt förderlich für den Glauben sind. Ich denke, solche Erfahrungen haben wir alle in unserem Leben gemacht und man muss an den Punkt gelangen, an dem man versteht, dass man Gott nicht für alles verantwortlich machen kann und er nicht für alles "haftbar" zu machen ist. Aber um zu dieser Erkenntnis zu kommen, bedarf es eines Reifungsprozesses und einer gewissen Lebenserfahrung.
Wie würden Sie Ihren Glauben, Ihre Beziehung zu Gott und Kirche heute charakterisieren?
Alexander: Heute ist der Umgang wesentlich leichter. Bedingt durch die verschiedensten Erfahrungen - sowohl im Positiven als auch im Negativen - ist mir bewusst, dass das Leben mit Gott und Glauben nur funktionieren kann, wenn man ihn als Leitfaden und Berater an seiner Seite weiß. Und glauben Sie mir, ich hole mir oft Rat in meinem Alltag bei ihm.
Ihre aktuelle CD "Geh aus, mein Herz" vereint 15 Kirchenlieder auf einem Album. Wie kam es zu dieser Idee und Produktion?
Alexander: Das ist ganz einfach. Mit diesen Liedern bin ich groß geworden. Es waren mitunter die ersten Lieder überhaupt, welche ich in der Sonntagsschule auswendig gelernt habe. Es war letzten Endes nur eine Frage der Zeit, wann ich diese "Hits aus dem Gesangbuch" aufnehmen würde.
Wenn man an geistliches Liedgut, ein Symphonieorchester und einen Knabenchor denkt, könnte es naheliegen, Stücke wie "Ave Maria" oder "Stille Nacht, Heilige Nacht" aufzunehmen. Sie hingegen haben sich für kämpferisches protestantisches Liedgut wie Martin Luthers "Ein feste Burg ist unser Gott" oder Dietrich Bonhoeffers bewegendes Hoffnungslied "Von guten Mächten wunderbar geborgen" entschieden. Warum?
Alexander: "Stille Nacht“ z. B. finden Sie auf meinem Weihnachtsalbum, welches ich mit dem Royal Philharmonic Orchestra aufgenommen habe. Vier verschiedene "Ave Maria" habe ich mit Marshall&Alexander auf den Alben "Götterfunken" und "Paradisum" veröffentlicht. Ich wollte speziell diese großen Lieder aus dem Gesangbuch produzieren, die jeder Kirchgänger kennt und mit seinen persönlichen Erinnerungen und Bildern in Verbindung bringen kann. Wenn Sie nun auf die protestantischen Hymnen anspielen, so könnte ich auch provokativ sagen, dass ich in Zeiten von Islamismus und Terror ein sanftes Zeichen mit diesen Stücken setzen möchte. Dass das Bonhoeffer-Lied für manch einen so provokativ sein würde, war mir nicht bewusst. In der Nacht zum ersten Mai diesen Jahres wurde meine Garage großflächig mit Nazi-Parolen beschmiert und Bonhoeffer als Verräter bezeichnet. Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Album – und speziell dieses Lied - so provokant sein könnte. Eine schlimme Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte!
Ihr Album ist kurz nach Erscheinen auf Platz eins der Klassik-Charts gestiegen. Hat Sie dieser Erfolg überrascht?
Alexander: Und wie! (lacht) Als ich mit dem Album auf Promotion-Tour war, stieß ich nicht gerade auf große Begeisterung. Sätze wie "Wen willst Du eigentlich mit dieser Musik erreichen?" oder "Hast Du Dir das gut überlegt?" waren des Öfteren zu hören. Niemand hatte Lust, über dieses Thema zu schreiben, geschweige denn darüber zu berichten. Nach dem die CD nach der ersten Woche auf Platz 35 der Top-100-Album-Charts eingestiegen ist, war es plötzlich gar nicht mehr so langweilig und uninteressant. Da folgte dann ein Pressetermin nach dem anderen. Die Plattenfirma musste gleich 10.000 Einheiten nachpressen lassen, was zur Folge hatte, dass ich den obersten Podiumsplatz der Klassik-Charts eingenommen habe. Die unzähligen Reaktionen, Briefe, Mails, etc. bestärken mich bis zum heutigen Tage darin, den richtigen Weg mit dieser Platte gegangen zu sein.
Sie haben als junger Mensch auch eine Weile im Posaunenchor mitgespielt. Stimmt es, dass Ihnen dort nach einiger Zeit die Ohren weh getan haben?
Alexander: Nein, das stimmt nicht. Es war lediglich kein Wohlklang in meinen Ohren. Ich hatte schon damals diese wunderbaren Choräle ganz anders in mir gehört. Es fehlte mir die Leidenschaft und die Dramatik! Wenn da textlich von Schwertern und Kampf, Gottes Liebe, Trost und Zuversicht die Rede war, dann wollte ich das auch in der Musik hören. Mit meiner Produktion konnte ich das alles umsetzen. Ich höre aber sehr wohl gerne Posaunenklang!
"Es fühlt sich irgendwie richtig an"
Sie sind Mitglied der evangelischen Kirche. Was würden Sie auf die Frage antworten: "Warum sind Sie evangelisch, Herr Alexander?“
Alexander: Ich bin evangelisch-methodistisch erzogen worden und ich habe mich in dieser Konfession immer sehr wohl gefühlt. Es fühlt sich irgendwie richtig an. Wenngleich mir die Zeremonien und Ausschmückungen der katholischen Kirchen sehr gut gefallen. Ich hatte das Glück, gemeinsam mit dem ZDF einige der schönsten Kirchen Deutschlands aufzusuchen und ich bin beeindruckt, wie unterschiedlich die verschiedensten Gotteshäuser in ihrem Erscheinungsbild sind. Das bezieht sich freilich nur auf das Äußere.
Haben Sie eine Bibelstelle die Sie in Ihrem Leben begleitet?
Alexander: "Sei mir ein starker Hort, zu dem ich fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen. Denn du bist mein Fels und meine Burg." (Psalm 71, Vers 3). Dies ist der Trauspruch von mir und meiner Frau Vanessa. Er ist ein wunderbarer Wegbegleiter für unsere gemeinsame Zukunft.