Ein Rollstuhl steht im Klassenzimmer einer Gemeinschaftsschule.
Foto: dpa/Inga Kjer
Viele Lehrer hadern mit der Inklusion
Eine repräsentative Umfrage unter Lehrern zeigt: 41 Prozent von ihnen halten nichts vom gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern. Und auch die Inklusions-Befürworter unter den Pädagogen sehen sich in vielem überfordert.
14.06.2015
epd
Miriam Bunjes

Barbara Riems Ziele sind schnell kleiner geworden. "Nicht ausflippen - das ist das einzige, was ich diesen Schülern hier beibringen kann", sagt die Sonderpädagogin aus Dortmund. Die Lehrerin heißt eigentlich anders, aber sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn sie fürchtet, dass ihr öffentliche Kritik an der Inklusion - dem gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern - im Beruf schadet. "Bei dem Thema kommen Diskriminierungsvorwürfe besonders schnell", sagt die Lehrerin. "Dabei funktioniert Inklusion für viele Schüler nicht."

Voller Elan sei sie im vergangenen Jahr in eine Dortmunder Gesamtschule gewechselt, um dort in der Regelschule Inklusion umzusetzen. Und ist dabei schnell an die Grenzen des gemeinsamen Unterrichts gestoßen: "Meine lernbehinderten Schüler dort beherrschten in Mathe das kleine Einmaleins nicht, die Klasse nahm aber Bruchrechnung durch", erzählt sie. "Das ist auf eine sehr anstrengende Art langweilig für die Schüler, die dann auch anfingen, den Unterricht zu stören."

Riem ist für mehrere Klassen zuständig. "Oft habe ich die Klassenlehrer meiner Schüler wochenlang nicht zu Gesicht bekommen, weil das vom Stundenplan her nicht möglich war", sagt Riem. "Und die Fachlehrer hatten auch keine Zeit, sich mit mir oder untereinander über den Lernstand Einzelner abzusprechen." Geschweige denn einen Zugang zu den sogenannten emotional-sozial behinderten Schülern zu finden, für die zwischenmenschlicher Umgang und Gefühlskontrolle besonders schwierig sind.

Mit dieser Kritik ist Riem nicht allein, zeigt aktuell eine repräsentative Lehrerumfrage, die der Verband Erziehung und Wissenschaft (VBE) beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben hat. "Die Ergebnisse sind mehr als ein Alarmsignal an die Politik", fasst VBE-Vorsitzender Udo Beckmann zusammen. Die Rahmenbedingungen an den Schulen entsprächen nicht im Mindesten den Auflagen der UN-Behindertenkonvention.

Tatsächlich zeigt die Studie, wie viele Lehrer sich mit der Inklusion überfordert sehen. 98 Prozent sprechen sich in der Umfrage für eine Doppelbesetzung von Lehrern und Sonderpädagogen in inklusiven Lerngruppen aus - und zwar dauerhaft. "Schulrechtlich ist das gar nicht zwingend vorgesehen", sagt Beckmann. Zwei von drei Befragten hatten immerhin einen Sonderpädagogen an der Schule - wie Riem in Dortmund zuständig für alle Inklusionsklassen der Schule, häufig auch an mehreren im Stadtgebiet.

Lehrer sind mit ihren Fähigkeiten und Fortbildungen nicht zufrieden

Ihre eigenen sonderpädagogischen Fähigkeiten bewerten die Lehrer als schlecht: 57 Prozent gaben an, keine Kenntnisse zu haben, 38 Prozent hatten auch keine begleitende Fortbildung. Und wenn sie eine hatten, sind mehr als zwei Drittel der Befragten mit deren Qualität nicht zufrieden.

Sie müssen trotzdem Inklusion umsetzen: 75 Prozent der Befragten gaben an, dass an ihren Schulen inklusiv unterrichtet wird. Bei den meisten wurde dabei weder die Schülerzahl kleiner, noch die Schule barrierefrei. "Die Lehrer wurden von ihren Dienstherren einfach ins kalte Wasser geworfen", sagt Beckmann. So werde "willentlich in Kauf genommen, dass die Inklusion vor die Wand gefahren wird". 

Zu große Lerngruppen, zu wenig Fachpersonal, fehlende Barrierefreiheit, beschreibt der Gewerkschafter "die Schulwirklichkeit": "Da darf man sich nicht wundern, dass 41 Prozent der Lehrer die Beschulung behinderter Kinder an Förderschulen für sinnvoller halten." So hoch ist laut Studie der Anteil der Inklusionsgegner unter den Lehrern. 57 Prozent wollen Inklusion - aber nur wenn die personellen und finanziellen Ressourcen stimmen.

Barbara Riem unterrichtet seit einem Jahr wieder in einer Förderschule: Zwölf Kinder hat ihre zweite Klasse, einen davon kann sie sich bald an einer Regelschule vorstellen. "Für die andern ist der behütete Raum hier viel besser als Inklusion."