"Alle fahren in den Sommerferien weg. Nur wir wieder nicht". Diese Klage kennt Sonja Reiners* (Name geändert) von ihren Kindern Patrick (9) und Lisa (11) schon seit Jahren. Doch eine Urlaubsreise, in der sie endlich einmal Zeit für sich und die Kinder hätte und sich sogar an einen gedeckten Tisch setzten könnte, ist für die allein erziehende Mutter, die als Produktionshelferin in Wechselschicht arbeitet, unerschwinglicher Luxus. Dabei täten ihr und den Kindern Abwechslung, Entspannung und Begegnung mit anderen Familien gut. Denn den Alltag, in dem Sonja ständig vor der Herausforderung steht, mit wenig Geld auszukommen und Familie und Berufstätigkeit "unter einen Hut zu kriegen" erleben alle Familienmitglieder als "ziemlich anstrengend".
Doch in diesem Jahr gibt es zum ersten Mal eine Alternative zu "Ferien auf Balkonien". Schon seit Wochen freuen sich die drei auf die letzte Woche der Sommerferien. Dann wird die Familie ins Christliche Gästezentrum Rehe im landschaftlich reizvollen Westerwald in den Urlaub fahren. Das Haus gehört zu den 35 gemeinnützigen evangelischen Familienferienstätten zwischen Nordsee und den Alpen, in denen Familien günstig Urlaub machen können.
Auch Ferien auf der Burg sind möglich
Dass Aufenthalt und Vollpension in der Familienferienstätte in Rehe für Sonja Reimers sogar völlig kostenlos sind, ist einer besonderen Gemeinschaftsaktion des Landes Rheinland Pfalz, der Familienferienstätten und der Wohlfahrtsverbände, zu denen auch die Diakonie gehört, zu verdanken. Sie hat in diesem Jahr für 100 Familien mit geringem Einkommen die Möglichkeit geschaffen, unentgeltlich eine Woche in einer Familienferienstätte Urlaub zu machen.
Aber auch jenseits dieser besonderen Aktion sind die deutschlandweit 35 Evangelischen Familienferienstätten der Diakonie zwischen Nordsee und Alpen mit ihren günstigen Preisen eine gute Adresse für Familien mit geringem Einkommen. Die Unterkünfte reichen von zweckmäßigen Ferienwohnungen bis zu Häusern mit Vollpension. Sogar zwei Burgen beherbergen eine Familienferienstätte.
In acht von 16 Bundesländern können Familien zudem Individualzuschüsse zu einem Urlaub zwischen mindestens 5 und höchstens 21 Tagen in einer gemeinnützigen Familienferienstätte beantragen. Wie die Bedingungen für eine finanzielle Beihilfe in Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland Pfalz, Saarland und Sachsen genau aussehen, zeigt der Blick ins Internetportal der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und vereinzelt über das Landesprogramm „Stärke“ in Baden-Württemberg gibt es alternative Programme von Maßnahmeträgern, die Familienerholung und Bildung verbinden.
In besonderen Fällen gewähren die Familienferienstätten auch selbst einen Nachlass, indem sie die Mehrwertsteuer erlassen. Auch bei der 1999 gegründeten Stiftung Evangelische Familienerholung können Familien einen Antrag auf Zuschuss stellen.
Diakon Eberhard Daferner ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Er hält die Unterstützung von besonders belasteten Familien wie etwa Ein-Eltern-Familien, Familien mit vielen Kindern oder Familien mit einem behinderten Kind für ein "ur-evangelisches", wichtiges theologisches und diakonisches Anliegen. Dabei geht es um mehr als finanzielle Unterstützung für kurzfristige Erholung. Anliegen der Familienerholung ist laut Daferner auch, wertorientierte Impulse zur Gestaltung des Lebens zu vermitteln. Denn die können sich auch dann als nachhaltig heilsam und hilfreich erweisen, wenn der oft so anstrengende Alltag die Familien wieder hat. "Werte wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Treue und ehrliche Kommunikation können Familien tragen", ist Daferner überzeugt. Im besten Fall öffnet der Urlaub in einer evangelischen Familienferienstätte erstmals oder wieder neu auch einen Zugang zu Glaube und Spiritualität. Angebote wie Gesprächsgruppen zu Erziehungs-, Glaubens- und Lebensfragen, Andachten, Seelsorge, Einladung zur Stille und Impulse zur Gestaltung des Familienlebens gehören deshalb genauso zum Programm der Familienferienstätten wie Möglichkeiten zu Sport, Spiel, Muße, Begegnung, Austausch, Wellness oder kreativem Gestalten.
Für Sabine und Matthias Hoppe, die im letzten Herbst die Leitung des Christlichen Gästezentrums in Rehe übernommen haben, war es keine Frage, 40 Plätze für die einwöchige kostenlose Familienerholung zur Verfügung zu stellen. Denn das als Familienerholungsstätte zertifizierte Gästezentrum mit 117 Zimmern und 313 Betten gehört zu einer 1952 gegründeten Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, besonders "Menschen in leiblicher Not, in geistlich-seelischer Bedrängnis und sozial benachteiligten Verhältnissen zu unterstützen".
Auf Familien ist das Haus bestens eingestellt. Denn hier finden regelmäßig gut besuchte Familien- und Bibelfreizeiten statt. "Wir fühlen uns hier total wohl. Essen, kindgerechte Ausstattung, Kinderbetreuung und das anregende Programm - alles ist wunderbar auf Familien mit Kindern eingestellt", so David und Kornelia Müller, die mit ihren zwei- und vier Jahre alten Kleinkindern in den Osterferien an einer Familienfreizeit teilgenommen haben, um "aufzutanken".
Schon die äußeren Bedingungen laden zum Ausspannen und zur Erholung ein. Denn der Gebäudekomplex des Gästezentrums ist von einem 12 Hektar großen, gepflegten Park mit Teichanlagen, Barfußpfad und Spazierwegen umgeben. Spielplatz, Minigolf, Fußball- oder Beachvolleyballplatz laden zum Toben und Spielen ein. Wenn das Wetter nicht zu Outdoor-Aktivtäten lockt, bieten das hauseigene Café, ein Hallenschwimmbad, Sauna, Sandbett und Solarium, Kicker, Billard und Tischtennisplatte und ein kreativ eingerichtetes Tobe- und Spielzimmer für die Kleinsten eine Menge Alternativen.
"In der Familie werden die Fundamente fürs Leben gelegt. Hier entsteht Bindungsfähigkeit und Geborgenheit. Gute Eltern sind das Beste, was einem Kind passieren kann.", begründen Sabine und Matthias ihr Engagement für Familien. Schon seit dem Frühjahr planen sie deshalb das Programm für die Familienerholung im Spätsommer, an der Sonja Reimers und ihre Kinder teilnehmen werden. "Eine Woche ist eigentlich zu kurz – aber vielleicht trägt sie doch auch zum Familienzusammenhalt bei", hofft Sabine Hoppe. "Im Alltag treibt oft jeder in der Familie seinen eigenen Esel – vielleicht kann ein Urlaub das unterbrechen und Anregungen zu mehr Gemeinsamkeit in der Familie geben", hofft auch Matthias Hoppe.
Deshalb gehören morgendliche kurze Andachten, Gesprächsangebote zu familienpädagogischen Fragen für die Eltern und altersspezifische Gruppenaktivitäten für die Kinder genauso zum Programm wie gemeinsames Kochen, die Vorbereitung eines Fests mit Lagerfeuer und Grillen oder Ausflüge zu attraktiven Zielen in der Umgebung. Natürlich ist die Teilnahme an allen Angeboten freiwillig. "Wir wollen niemandem zwangsbeglücken oder ungebetene Ratschläge geben, sondern Hilfe zur Selbsthilfe anbieten", so Matthias Hoppe.
In Rehe bringt ein Koch, der in einem Sternelokal gelernt hat, täglich Leckeres und Gesundes abwechslungsreich und frisch auf den Tisch. Denn gutes Essen und freundlicher Service tragen viel zum Urlaubsglück bei, wissen Matthias und Sabine Hoppe. Für die Familienerholungswoche im Spätsommer schwören sie deshalb ihr Team noch einmal besonders auf Freundlichkeit und Toleranz ein. Denn Familien wie die von Sonja Reimers sollen sich willkommen fühlen! Noch gibt es für die Familienerholung in Rehe und anderen Familienferienstätten einige freie Plätze. Nachfragen lohnt sich, und Beratung beim Antrag auf einen Zuschuss gibt es bei den Beratungsstellen der Diakonie.