Herr Professor Barner, die Losung des Stuttgarter Kirchentages hieß: "damit wir klug werden". Wo sind Sie in den vergangenen Tagen klüger geworden?
Andreas Barner: Ich habe deutlich dazugelernt bei Fragen der gesamten Friedensthematik. Auch das Gedenken zu Beginn hat ein Thema berührt, das mir so deutlich nicht vor Augen stand: die Verfolgung gleichgeschlechtlicher Paare im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit, und auch die Rolle der Kirche dabei.Sie leiten ein großes Unternehmen, den Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Nehmen Sie aus dem Kirchentag etwas mit, das sie umsetzen können in ihrer täglichen Arbeit in der Wirtschaft?
Barner: Der Kirchentag hat in mancherlei Hinsicht Ähnlichkeiten zu einem Unternehmen, zum Beispiel in den Forschungsbereichen. Dort arbeiten ganz unterschiedliche Menschen, die - manchmal fast unkoordiniert wirkend - ein Ziel erreichen wollen und das auch können. Die positive Energie, die man beim Kirchentag erlebt, möchte man natürlich auch im Unternehmen sehen. Auch da können wir aus dem Kirchentag lernen.
Zahlreiche Spitzenpolitiker waren in Stuttgart - Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Stellvertreter Sigmar Gabriel, um nur einige zu nennen. Was können Politiker vom Kirchentag mitnehmen?
Barner: Ein Beispiel ist die Diskussion von Bundespräsident Gauck mit dem Soziologen Hartmut Rosa um Fragen des Wachstums. Rosa hat im Anschluss gesagt, das er danach vielleicht das letzte Kapitel eines in Arbeit befindlichen Buches umschreibt. Und auch Gauck, der mit großer Intensität in die Diskussion hineingegangen ist, räumte ein, dazugelernt zu haben - durch ein Forum, das geprägt war von ernsthafter Kontroverse und von Nachdenklichkeit.
Welches Signal gibt dieser Kirchentag den Mächtigen der Welt mit, die sich am Wochenende beim G-7-Gipfel in Elmau treffen?
Barner: Das Hauptsignal, das wir senden, ist, dass die Flüchtlingsproblematik angegangen werden muss. Als zivilisierte Gesellschaft kommen wir trotz unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten gemeinsam zu dem Schluss, dass Flüchtlinge nicht im Mittelmeer ertrinken dürfen, sondern dass andere Wege gefunden werden müssen. Das wird ein schwieriger und komplexer Prozess werden, aber ich bin sicher, dass bessere Lösungen zu finden sind als das, was wir leider derzeit erleben müssen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach der letzten großen Bootskatastrophe im Mittelmeer gesagt, es müsse alles getan werden, was möglich ist. Sehen Sie schon, dass alles getan wird?
Barner: Lassen Sie uns noch den Gipfel von Elmau abwarten. Danach können wir beurteilen, ob ein Ruck durch die G-7-Staaten geht. Ich hoffe sehr, dass die Politiker einige Signale vom Kirchentag aufgenommen haben und wissen: Die Menschen erwarten, dass sich da etwas tut.
"Wir wollen keine Abgrenzung von der katholischen Kirche. Wir wollen ein Miteinander"
Welche Zeichen hat der Kirchentag für die evangelische Kirche gesetzt?
Barner: Ein Kirchentag ist immer ein motivierendes Ereignis. Gerade hier in Württemberg war wichtig die Annäherung mit den pietistischen Teilen der Kirche. Dass deren traditioneller Christustag zum Beispiel in den Kirchentag integriert werden konnte, ist ein gutes Zeichen. Grundsätzlich bin ich der Meinung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, dass die positive Energie vom Kirchentag zurückgetragen werden muss in die Gemeinden.
In zwei Jahren wird das 500. Reformationsjubiläum gefeiert. Was soll, was muss beim nächsten Kirchentag 2017 anders werden?
Barner: In Stuttgart war die Ökumene ein ganz starkes Element der Kirchentags. Es wird wichtig werden, dass wir auch 2017 genügend ökumenische Signale senden. Wir wollen ja keine Abgrenzung insbesondere von der katholischen Kirche. Wir wollen ein Miteinander. Kardinal Karl Lehmann hat das auf dem Kirchentag am Samstag gut zum Ausdruck gebracht: Es sei höchste Zeit, dass wir vorankommen. Dieser Gedanke muss auch 2017 durchscheinen, und ich bin mir sicher, dass wir das erleben werden.