Wenn Gott überall ist und Jesus mitten unter uns, wenn zwei oder drei in seinem Namen zusammenkommen, ist er dann auch online? Ja - das ist die klare Antwort, die beim "Gottesdienst 3.0" in der Heilandskirche gegeben wurde. Gottesdienste online in alle Welt zu übertragen ist inzwischen kein technisches Problem mehr. Wo Fernsehgottesdienste noch hunderte Meter Kabel, spezialisierte Technik und einen minuziösen Ablauf brauchen, lässt sich ein Gottesdienst mit zwei Webcams und einem Computer einfach in die Welt schicken, einen ausreichenden Internetzugang vorausgesetzt.
In Zeiten von Streaming-Apps wie Periscope und Meerkat braucht es sogar nur noch ein Smartphone, um den Gottesdienst live an jeden zu senden, der zusehen möchte. Die Übertragungsqualität ist natürlich eine andere als beim traditionellen Fernsehgottesdienst in High Definition, aber für Wort und Bild reicht es in jedem Fall.
Die Evangelische Markusgemeinde in Wien sendet auf solchen Wegen schon seit Jahren an jedem ersten Samstag im Monat ihre Gottesdienste unter online-andacht.at. Bei diesen Gottesdiensten kann nicht nur jeder mit einer Internetverbindung zuschauen, sondern über Twitter auch Fürbitten in den Gemeinde-Gottesdienst schicken, die von den Liturgen dann auch in der Kirche vorgetragen werden. In der Heilandskirche feierten die Besucher in der vollbesetzten Kirche genau eine solche Andacht (und wer selbst eine mitmachen will, hat am Samstag, 6. Juni, um 19 Uhr, dazu Gelegenheit – ebenfalls wieder aus der Heilandskirche und auf online-andacht.at).
"Das kommunikative Handeln ist entscheidend für die soziale Präsenz", erläuterte anschließend evangelisch.de-Redakteurin Anne Kampf, die sich für ihre Masterarbeit ausführlich mit dem Thema Online-Gottesdienste befasst hat. Soziales Miteinander, das auch den evangelischen Gottesdienst prägt, ist auch dann gegeben, wenn jemand sich beispielsweise per Twitter oder auf anderen digitalen Wegen einklinkt. Das Gefühl, dabei zu sein, stellt sich allemal ein.
Das Abendmahl allerdings ist "der symbolische Vollzug der leiblichen Gemeinschaft mit dem Herrn", erläuterte Anne Kampf. Dafür brauche es Brot, Wein und vor allem die körperliche Anwesenheit der Gemeinde, "sonst kommt meiner Ansicht nach das Symbolgeschehen nicht zustande". Die Weitergabe von Brot und Wein funktioniert nicht durch Datenkabel. Kirche könne daher nicht ausschließlich online sein. Aber die Formen dazu, die es schon gibt, sollen die Gottesdienste in der Kohlenstoffwelt ja nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Eine solche Form sind die interaktiven "SubLAN"-Gottesdienste von Pfarrer Rasmus Bertram. Mit einem Team von Ehrenamtlichen betreit er ein Maximum an Interaktivität in reinen Online-Gottesdiensten. Insbesondere die Predigt wird dabei zu einer interaktiven Gesprächsform, weil die Zuschauer jederzeit unmittelbar Feedback zum Gottesdienst geben können. Die Prediger (üblicherweise mehr als einer) sehen, wie ihre Predigt ankommt und können im Gespräch darauf reagieren. Bis zu 35 Minuten plant das Team um Rasmus Bertram für diese interaktive Gesprächsform ein.
Technik so nutzen, wie die meisten Menschen es ohnehin tun
"Gottesdienst 3.0 nutzt die Technik so, wie es die Gemeinde selbst tagtäglich tut", betont Bertram. Rund 41 Millionen Menschen in Deutschland haben ein Smartphone, Tendenz steigend. Die Selbstverständlichkeiten im Umgang mit Smartphone und Internet müssten auch Eingang in die wichtigste Form der Kirche finden. "Das Netz bietet die grandiose Chance auf spontanes Beteiligen Vieler in geordneten Bahnen", berichtet er von seinen Erfahrungen aus der Jugendkulturkirche St. Peter in Frankfurt. Seine Erfahrungen sind ausnehmend positiv – weil jeder teilnehmen kann, egal von wo, und die Kommunikation auf der SubLAN-Plattform eine ganz niedrige Hemmschwelle bietet, um sich selbst einzubringen. Das Team, das den Pfarrer dabei unterstützt, nimmt die eingehende Kommunikation auf, sortiert sie, zündet für die eingehenden Gebete echte Kerzen an und bietet parallel auch Seelsorge-Gespräche an, wenn nötig.
Die Besucher der Diskussion in der Heilandskirche äußerten sich neugierig, gerade mit dem Gedanken, "dass man die jungen Menschen mit dem Gottesdienst nicht mehr richtig erreicht". Im Gegenzug war die Frage auch: Kann man bei Formen mit digitaler Beteiligung noch zur Ruhe kommen? Klar, meint Rasmus Betram, denn die Intensität der Interaktivität lässt sich beliebig wählen, von nur bei den Fürbitten bis zum gesamten Gottesdienst. Aber interaktive Gottesdienste richten sich nicht nur an Jugendliche, sagen Betram und Bernd Gratzer aus Wien übereinstimmend. Im Gegenteil – wer sein Smartphone stündlich nutzt, twittert sowieso schon aus dem Gottesdienst. Dann kann er oder sie das auch gleich zum Thema des Gottesdienstes tun. Und die Online-Übertragung nutzt auch der bettlägerigen Oma, die auf ihren heimatlichen Gottesdienst nicht verzichten will.
Online-Gottesdienste sind also längst nicht mehr neu, aber immer noch nicht Alltag. Bis es so weit ist, werden noch viele Menschen ausprobieren, welche Form der Online-Interaktion zu ihrer Gemeinde passt – von getwitterten Fürbitten bis zum regelmäßigen Streaming-Gottesdienst, und sei es nur als Konfirmandenprojekt. Dass Gottesdienste aber überhaupt online gefeiert werden, sollte heutzutage niemanden mehr überraschen.