Für José Graziano da Silva, Generaldirektor der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), zeigen die Ergebnisse, dass der Hunger noch zu unseren Lebzeiten besiegt werden könne: "Dieses Ziel muss bei allen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden und essentieller Teil der neuen Agenda für nachhaltige Entwicklung sein, die dieses Jahr aufgestellt wird. Wir müssen die Generation sein, die den Hunger besiegt.“
Dem UN-Bericht zufolge hungern 795 Millionen Menschen. In Entwicklungsländern habe sich der Anteil der Bevölkerung, der über nicht genügend Nahrung für ein aktives und gesundes Leben verfüge, deutlich verringert. 1990-1992 hätten noch knapp ein Viertel (23,3 Prozent) der Menschen in Entwicklungsländern gehungert. Heute seien es nur noch ein Achtel (12,9 Prozent). Gleichzeitig ist die Weltbevölkerung seit 1990 um 1,9 Milliarden Menschen gewachsen. Die sinkende Zahl der Hungernden sei daher bemerkenswert, so der Bericht.
"Nahrhaftes Essen, um sich voll zu entfalten"
Die größten Fortschritte wurden in Südostasien, Lateinamerika, der Karibik und Teilen Afrikas erzielt. Diese Erfolge zeigten, wie Hunger nachhaltig bekämpft werden könne: Wirksam seien vor allem landwirtschaftliche Investitionen, soziale Sicherung, politische Stabilität und Wirtschaftswachstum, von dem die gesamte Bevölkerung profitiere. Vor allem aber brauche es den politischen Willen, die Eliminierung des Hungers zum zentralen Entwicklungsziel zu machen, so der Bericht.
Für Kanayo F. Nwanze, Präsident des Internationaler Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) stehen Investitionen in die ländlichen Gebiete von Entwicklungsländern an erster Stelle, da dort die meisten Armen und Hungernden der Welt lebten. "In ländlichen Gemeinden müssen gute Arbeitsplätze, gute Lebensbedingungen und gute Zukunftschancen für die Bewohner entstehen. Nur so können sich Länder nachhaltig entwickeln."
Ertharin Cousin, die Exekutivdirektorin des World Food Programme (WFP) betonte die Bedeutung guter Ernährung: "Männer, Frauen und Kinder brauchen täglich nahrhaftes Essen, um sich voll zu entfalten. Nur so können sie zum wirtschaftlichen Wachstum ihres Landes beitragen. Von diesem muss wiederum die gesamte Bevölkerung profitieren, damit Hunger zur Geschichte wird." Stanlake Samkange, Programmdirektor des WFP betonte aber, dass noch "keine Zeit zu feiern" sei.
Große Fortschritte unter schwierigen Bedingungen
Die globale Wirtschaftslage der letzten Jahre sowie extreme Wetterbedingungen, Naturkatastrophen, politische Instabilität und Kriege hätten verhindert, dass die für 2015 gesetzten Ziele zur Ernährungssicherung vollends erreicht werden konnten. 24 afrikanische Länder seien heute von Nahrungskrisen betroffen – doppelt so viele wie 1990. Jeder fünfte Hungernde lebe in einem Krisengebiet mit schwachen oder fehlenden Regierungsstrukturen. Seit den letzten 30 Jahren dauerten Krisen auch zunehmend länger an.
In Krisenländern leiden mehr als dreimal so viele Menschen wie anderswo unter Hunger. Schon 2012 waren das 129 Millionen, ein Fünftel aller Hungernden weltweit.
Der neueste UN-Jahresbericht zum Hunger weltweit (The State of Food Insecurity in the World 2015) wurde heute von der Ernährungs- und (FAO), dem Internationaler Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) und dem UN World Food Programme (WFP) vorgestellt.
Welthungerhilfe sieht kaum Fortschritte bei Hungerbekämpfung
Die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, kritisert, dass das Ziel einer Welt ohne Hunger bis 2030 in weite Ferne rücke, wenn sich der Trend der vergangenen zehn Jahre fortsetze. Sie reagierte damit auf den in Rom veröffentlichen Bericht der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO).
Die absoluten Zahlen seien zwar ein Fortschritt, sagte Dieckmann. "Aber es reicht nicht. Wir sind in der Hungerbekämpfung immer noch zu langsam", betonte sie. Bei diesem Tempo würde das Ziel einer von Hunger befreiten Welt erst 2060 erreicht. Dieckmann appellierte an die G-7-Staaten, bei ihrem Gipfeltreffen am 7. und 8. Juni im bayerischen Elmau eine deutliche Trendwende einzuleiten. Die Bemühungen zur Bekämpfung des weltweiten Hungers müssten verstärkt und die staatlichen Mittel dafür bis 2030 kontinuierlich erhöht werden.
Laut Dieckmann stellen die sieben wichtigsten Industrienationen (G-7) seit 2010 für den Kampf gegen den Hunger immer weniger Mittel zur Verfügung. Die Gesamtsumme fiel nach ihren Angaben von 11,3 Milliarden US-Dollar 2010 auf 8,65 Milliarden 2013. Hunger sei oft Ursache und Auslöser für politische Konflikte und daraus folgende Flüchtlingsströme, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe: "Aber niemand verlässt sein Land gerne."
Wichtig seien Investitionen zur Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die immer noch 70 Prozent der Nahrungsmittel in den Entwicklungsländern produziere. Auch beim Handel müssten die Industrienationen verantwortungsvoller agieren und die armen Staaten nicht mit eigenen Waren überfluten. Viele Entwicklungsländer krankten zudem an schlechter Regierungsführung. Es fehlten soziale Sicherungssysteme und gerechte Steuersysteme zur Umverteilung.