Als die Bewaffneten auf Palmyra vorrückten, eilte ihnen der Ruf besonderer Brutalität voraus. Fast jede Stadt, die die Truppen auf ihrem Feldzug eingenommen hatten, wurde zerstört. "Nicht einmal ein Hund soll am Leben bleiben", hatte der Anführer noch vor seiner letzten Eroberung als Losung herausgegeben. Im Jahr 273, als zum letzten Mal eine feindliche Armee vor Palmyra stand. Fast 2000 Jahre nach der Eroberung durch den römischen Kaiser Aurelian steht die syrische Oasenstadt heute wieder vor der Zerstörung.
Am 21. Mai 2015 hat der selbsternannte "Islamische Staat" Palmyra eingenommen. Mindestens 40 Menschen seien schon hingerichtet worden, berichten Aktivisten. Die letzten Verteidiger der syrischen Armee haben sich kampflos zurückgezogen. Der Großteil der Bevölkerung ist auf der Flucht. Die UNESCO warnt vor dem Verlust unschätzbarer Kulturgüter.
"Palmyra? Tadmor? Palmyra?" begann vor elf Jahren an einem Busbahnhof in Damaskus meine erste Reise in eine Stadt, die allenfalls Syrien-Touristen und Historikern ein Begriff war. Vier Euro und vier Stunden später stand ich vor diesem riesigen Freiluft-Museum aus Steinen und Sand. Am Straßenrand versuchten Kinder kulturelles Kleinod gegen Kleingeld einzutauschen. Kleinbusse spuckten italienische Reisegruppen aus. Der Geruch: eine Mischung aus Sonnencreme und Kamelflatulenz.
Steine zum Geldverdienen
Mit dem obligatorischen "Special Tourist Price" und einem "hello my friend" lud mich einer der Kameltreiber zum Rundgang durch 4000 Jahre syrischer Patchwork-Kultur. Am Ende wurden der 19-jährige Mahmoud und ich wirklich Freunde. "Die Kämpfe gefährden eine der wichtigsten Kulturgüter des Nahen Ostens", warnte die UNESCO-Vorsitzende Irina Bokova am Mittwoch. "Mit diesen Steinen verdiene ich mein Geld", lautete hingegen die pragmatische Einstellung Mahmouds.
Hier ein 2000 Jahre alter Baaltempel, dort ein uralter römischer Säulengang. Da hinten marschierten Perser, hier war König Salomon: Mahmouds Begeisterung für diesen Ort schien ähnlich weit zurück zu liegen, wie die letzte chinesische Gewürzkarawane, die den einstigen Handelsknoten der antiken Welt durchquerte. Er erzählte mir von Zenobia, die als Witwe eines römisches Provinzverwalters Palmyra innerhalb von drei Jahren zu einem Reich ausdehnte, das von Ägypten bis in den heutigen Irak reichte - bis Kaiser Aurelian vor der Stadt stand. Von der Wasserpfeife, die wir im Amphitheater auspacken könnten. Vom Arak, den er noch zuhause stehen habe. Und davon, dass es eigentlich sein Traum sei, in Deutschland Maschinenbau zu studieren, anstatt Kamele mit Touristen vorbei an alte Steinen zu treiben.
Nicht nur Palmyra, auch Tadmor ist bedroht
Tadmor ist der Name jenes Palmyras, aus dem nach Sonnenuntergang das Leben nicht im Minibus verschwindet. Auch hier gingen im Frühjahr 2011 Menschen auf die Straße: Für soziale und demokratische Reformen. Für die Freilassung von Freunden und Verwandten aus dem örtlichen Foltergefängnis. Dafür, dass das Geld, welches täglich mit den Minibussen aus Damaskus kommt, auch den Menschen von Tadmor zugute kommt.
Fernab der großen Bevölkerungszentren blieb Tadmor lange von den schlimmsten Kämpfen des Krieges verschont. 50.000 Einwohner lebten hier. Bis immer mehr Menschen aus den umkämpften Teilen des Landes in der Wüste Zuflucht suchten. Schon lange vor dem Vormarsch des IS drangen bewaffnete Milizen nach Tadmor ein, patrouillierten Panzer der syrischen Armee durch die Straßen, wurde der Baaltempel von Mörsern getroffen, nahmen im Theater Scharfschützen die Plätze von Touristen ein. Doch inmitten der syrischen Wüste gelegen, blieb Tadmor strategisch zu unbedeutend, um zum Schauplatz von Massakern wie in Homs, Douma oder Aleppo zu werden.
Touristen gingen, Terroristen kamen
2012 traf ich Mahmoud wieder. Die Wasserpfeife rauchten wir diesmal nicht im Amphitheater, sondern in einem Café in Damakus. Am Busbahnhof riefen die Fahrer noch immer "Palmyra? Tadmor?", doch die Fahrt sei für mich zu gefährlich, sagte Mahmoud damals. Die Minibusse spuckten schon lange keine italienische Touristen mehr aus. Jetzt brachten sie Lebensmittelhilfen und Dieselgeneratoren.
Die Tourismusbranche, die vor dem Krieg für elf Prozent des syrischen Bruttosozialprodukts sorgte, gab es nicht mehr. Statt von Zenobia und Aurelian sprachen Mahmoud und ich von Stromausfällen und gestiegenen Heizölpreisen. Davon, dass er sein Kamel verkauft habe und überlege, sich einer der Milizen anzuschließen.
"Wenn die Touristen mich nicht bezahlen, dann eben die Terroristen", lachte Mahmoud, bevor ich ihn zurück zum Minibus in Richtung der Stadt brachte, deren Schicksal sich überall in Syrien wiederholt. Auch an all jenen Orten, an denen sich Touristen einst tummelten und Archäologen nun um den Erhalt von Kulturgütern bangen.
Palmyra ist überall
Auf Krak de Chevalier drängten sich früher kichernde Schulmädchen beim Wandertag. Nach 1000 Jahren, in denen die riesige Kreuzritterburg nie ernsthaft umkämpft war, ist sie heute zum Teil durch Luftangriffe zerstört und dient der syrischen Armee als Festung. Keine christliche Pilgergruppe verpasste Maalula. In dem kleinen Bergdorf leben die letzten Menschen, die noch den aramäischen Dialekt Jesu' sprechen. Im Oktober 2013 nahm der Al-Qaida Ableger Al-Nusra-Front das Dorf ein und vertrieb einen Großteil der Bewohner.
Im längsten überdachten Basar der Welt, dem 13 Kilometer langen Souq al-Madina in Aleppo, bekamen Besucher von Ofenrohren bis Seife jahrhundertelang alles bis auf eine verbindliche Preisauskunft. Im September 2012 wurde er durch ein Feuer zum größten Teil vernichtet. Die größte Moschee des Landes, die Umayyaden-Mosche von Aleppo: Durch Mörserbeschuss zerstört. Die Synagoge im damaszener Vorort Dschobar, eine der ältesten jüdischen Gotteshäuser der Welt: geplündert und niedergebrannt.
Anfang 2014 bekam ich noch einmal Nachricht aus Tadmor. "Er ist tot", schrieb ein Freund via Skpye. Ein Scharfschütze hatte Mahmoud – den Kameltreiber aus Palmyra – in den Kopf geschossen. Die Einnahme seiner Stadt durch den IS erlebte er nicht mehr. Als 2000 Jahre zuvor Aurelian Palmyra einnehmen wollte, erschien ihm – so die Legende – im Traum ein alter griechischer Philosoph: "Aurelian, wenn es dein Wunsch ist, zu herrschen, verschone das Blut der Unschuldigen." Aurelian eroberte Palmyra – und verschonte Stadt und Menschen. Aber das ist Geschichte.